Sozialistische Effekten und Affekte

Esda-Strümpfe, Imi, Ata und Freitaler Diätklöße: Wie und warum musealisiert man die DDR? Die Ausstellung „Tempolinsen und P2“ des Museums für die Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt macht dazu einen Vorschlag  ■ Von Anke Westphal

„Wir wollen HO und Konsum wiederhaben!“

Graffiti in Eisenhüttenstadt

„Das Gute / dieser Satz steht fest / ist stets das Böse / was man läßt.“

Wilhelm Busch

Die herrschende Klasse der DDR sollte, wie die herrschende Klasse jedes anderen Landes auch, angemessen wohnen. Am 17. August 1950 wurde vom Ministerrat der DDR der Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost, im Volksmund EKO genannt, beschlossen und der einer Wohnstadt vom Reißbrett für die Beschäftigten gleich dazu: Stalinstadt. Ungläubige acht Jahre nach dem Tod von „Väterchen Jossif Wissarionowitsch“ bequemte man sich 1961, der Stein gewordenen sozialistischen Utopie einen weniger belasteten Namen zu geben – Eisenhüttenstadt.

Auch andere, inzwischen unmodern gewordene Bezüglichkeiten wurden getilgt. Die Leninallee heißt heute Lindenallee, die Ernst- Thälmann-Straße Beeskower Straße. Nur die Erich-Weinert- Allee trägt immer noch den Namen des einstigen proletarisch-revolutionären Dichters. Ein 1953/54 geträumter Traum: breite Wege, üppige Parkanlagen, großzügigst geschnittene Wohnungen, in denen Arbeiter wie Fürsten leben.

Natürlich ist Eisenhüttenstadt selbst ein einziges großes Museum. Ganze Viertel der Stadt stehen unter Denkmalschutz, weil sich an ihrer Architektur, den Baustilen, Nutzungsflächen sowie verwendeten Materialien der Aufstieg und Niedergang einer Gesellschaft durchbuchstabieren läßt. DDR pur, von ein paar Bankfilialen und einem Einkaufszentrum, das wie ein Pickel an der Straße nach Frankfurt (Oder) leuchtet, einmal abgesehen. Die Erich-Weinert- Allee ist da der hochsymbolische Ort, wo die DDR seit Montag auch in ihren popeligsten Erscheinungsformen, via Eierlöffel, Präsent-20- Kostüm und Pionierhalstuch, gesammelt, archiviert, verdatet, ausgestellt und also ihrer Gewöhnlichkeit enthoben wird.

In der Kindertagesstätte 2, gleich über der Geschäftsstelle des Bundes der Vertriebenen, kann man „Tempolinsen und P2“ besichtigen, eine Ausstellung des Museums für die Alltagskultur der DDR. Ein nicht ganz bedeutungsloses Zusammentreffen, denn „hier wurden einst kleine Kinder im Sozialismus zu ordentlichen Menschen erzogen“, weiß Klaus Ehrich, der seit 1960 in der Stadt lebt. Den Rahmen für Alltagskultur gibt die Politik vor. „Tempolinsen“ hieß der schnelle Eintopf zur Entlastung der werktätigen Frau, und in „P2“, einem Plattenbautyp, brachte man die sozialistische Familie auf 56 Quadratmetern unter. Das ist vielleicht weniger interessant als die Frage, wer wann warum entschieden hat, daß ausgerechnet sie „musealisierungswürdig“ sind.

Daß der Osten leuchtet, ist nichts Neues. Das Selbstbewußtsein, die eigene DDR-Biographie betreffend, wächst proportional zur Anzahl der Jahrestage, den Untergang der DDR betreffend. Dem gegenüber steht der Vorwurf larmoyanter Ostalgie. „Tempolinsen und P2“ bewegt sich in diesen Brüchen und Bedenklichkeiten. Andreas Ludwig, Historiker aus Westberlin, wurde von der Eisenhüttenstädter Stadtversammlung unter sechs Bewerbern ausgewählt, das Museum für Alltagskultur der DDR, das sich vorerst nur in Form dieser Ausstellung materialisiert hat, aufzubauen.

Ludwig ist ein umtriebiger und eloquenter Mann, dem „zuviel weggeschmissen“ wurde. Die Stadt und das Brandenburgische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur stellten die Depots für die Sammlung und sechzig Prozent der – vorläufigen – Finanzierung. Was nach dem 31. Dezember wird, weiß kein Mensch. „Tempolinsen und P2“ zieht im Frühjahr ins Westberliner Kreuzbergmuseum. Noch sichert man die Hinterlassenschaft des Ostens. Das Museum erhielt Hunderte von Päckchen aus Sachsen, als die Sächsische Zeitung aufrief: „Präsent-20-Anzug gesucht“.

Die Dokumentationsbestände stammen aus der Sammlung des zu DDR-Zeiten ausgebürgerten Jürgen Hartwig, aus Übernahmen und aus über 300 Schenkungen. Größere Mengen Pionierhalstücher oder Kartons voller Party- Spieße aus Plaste illustrieren weniger subjektive Selektionsmechanismen als vielmehr die Bedeutung, die die Schenkenden selbst einem Objekt zuschreiben, wenn es um ihren Alltag in der DDR geht. Ein hübscher Begriff dazu ist natürlich auch im Umlauf – „Museum von unten“.

So ganz „von unten“ ist es ja nie, wenn nach der Auswahl durch die Schenkenden noch einmal von ganz anderen Augen ausgewählt wird, was denn nun in die Vitrine kommt oder nicht und wie alles zusammen nun wieder – und in welchem Themenraum – aufgebaut wird. Ein Objekt spricht schließlich weniger aus sich selbst als vielmehr aus Zusammenhängen. „Tempolinsen und P2“ konstruiert keine nostalgisch gefilterte, heile kleine DDR-Welt, fürchtet sich aber leider auch nicht vor den Klischees kritischer Symbolik.

Eingangs wird der Besucher von einem verblaßten DDR-Symbol, sprich „Hammer, Zirkel und Ährenkranz“, begrüßt. Ja ja, wir wissen ja, daß und wie es sich ausläpperte. Dennoch ist ein unbestreitbares Verdienst dieser Ausstellung, daß sie nicht jeden VEB- Eierbecher als Inkarnation eines kleinen Ulbricht oder Honecker interpretiert. Da haben sechs am Ausstellungsaufbau beteiligte Eisenhüttenstädter Frauen ein Wörtchen mitgeredet. Sie sind schließlich allesamt, wie die Stifter der Objekte und wohl auch die meisten der Betrachter, Experten in Sachen DDR-Alltag. Ihr Binnenblick soll durch den Außenblick der Westberliner Mitarbeiter ergänzt sein, das Wie ist dabei nicht unbedingt sichtbar.

Auf explizit DDR-interne Räume wie „Vater, Mutter, Kind“ folgt jedenfalls, unter dem Titel „Der verwaltete Mensch“, die systemübergreifende Einbindung. Die Gleichung DDR setzt sich da wie folgt zusammen: Die Urkunde zur Verleihung des Titels „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ x den „AKA-electric-Fön“ + die Polit- Wandtafel = Leben. Aber irgendwie doch nicht nur. Leute laufen an den Vitrinen vorbei und grinsen ins authentisch nachgestellte Café, wo weiße Plastemargeriten, rote Plastesessel und das berüchtigte Gaststätten-Schild prangen: „Am Büfett wird nicht bedient!“ Diese Ausstellung funktioniert vor allem durch Humor. Über einer Girlande aus Einkaufsbeuteln hängt eine zweite mit Fotos, auf denen Einkaufsbeutelträger (Dederon!) abgebildet sind. Die DDR, soviel ist klar, war eine Beutelgesellschaft.

„Ich finde diese Ausstellung gut, weil man mit den Sachen aufgewachsen ist“, sagt eine Frau Mitte Fünfzig. Zusammenhänge also. „Dieses Gerümpel ist ja eigentlich nichts wert“, bekundet Museumsleiter Ludwig freimütig, und so werden die tausend gezeigten Objekte nicht nur durch ihre Anordnung nach Themen wie „Handel und Versorgung“, „Bildung und Erziehung“, „Familie“, „Freizeitarbeit“, „Fernsehfreuden“ oder „Küchengeräte“ kommentiert, sondern auch durch chronologische Tafeln, Interviews mit den ehemaligen Besitzern der Objekte, (wunderbare!) Fotos und Videos. Auf einem Foto sitzt eine dicke Frau im Dederon-Kittel vor dem Zelt, daneben steht auf einem Tisch mit Zierdeckchen der Kofferfernseher „Junost“. So war das, keiner fand es besonders ästhetisch, aber keiner hat es verachtet. Ein Vorzug der DDR?

Ausschnitte aus Volker Koepps Dokumentarfilm „Mädchen in Wittstock“ bebildern die Abteilung „Präsent-20-Kleidung“. Viele Kontexte ergeben ein Bild. Die Kunstfaser „Präsent 20“ war ein Geschenk zum 20. Geburtstag der DDR im Jahre 1969 und darüber hinaus ein getreues Abbild dessen, wie man sich die DDR wünschte: billig, pflegeleicht und unverwüstlich. Ach, die Bürger der ehemaligen DDR haben weniger weggeworfen, als man denkt: Uniformen der paramilitärischen „Gesellschaft für Sport und Technik“, Dederon-Küchenschürzen, Pionierausweise, der Entsafter, die Scheuermittel mit den Babynamen „Imi“ und „Ata“, Freitaler Diätklöße, FDGB-Mitgliedsbücher werden noch einmal liebevoll von der Geschichte ans Herz gedrückt.

Nur ist das Liebesnest – eine halbe Etage Kita-Räume und zwei separate Musterwohnungen – leider viel zu beengt. Von der Planung des Museums für DDR-Alltagskultur bis zur Eröffnung dieser Ausstellung vergingen gerade mal zwei Jahre. Es sollte eben schnell gehen, denn „diese Gesellschaft DDR löste sich in einem rasanten Tempo auf, erst materiell, dann mental“, so Andreas Ludwig. Letzterem darf widersprochen werden – warum sonst werden aus Massenprodukten wie DDR-Personalausweisen oder Ordensmappen plötzlich musealisierungswürdige Kulturgüter, zu denen man sich Geschichten erzählt? Das Gebot der Zeit lautet biographische Selbstrettung. Inzwischen glaubt jeder DDR-Bürger besser als ein anderer DDR-Bürger zu wissen, wie es denn nun wirklich war in der DDR.

Ich weiß es natürlich am allerallerallerbesten, denn ich bin in der „ersten sozialistischen Stadt der DDR“ aufgewachsen. Es war keine schlechte Zeit, finde ich heute, und auch bei „Tempolinsen und P2“ sind die mythologischen Ansätze bei der Aufarbeitung von DDR-Geschichte von den einfühlenden nicht zu trennen. Das spiegelt die deutsch-deutsche Befangenheit im Umgang mit der eigenen Geschichte und ist, als Verzicht auf ein Interpretationsmonopol gelesen, nicht das Schlechteste. Die „tausend kleinen Dinge“ des DDR-Alltags jedoch haben eigentlich Glück.

Was hätte ihnen Besseres widerfahren können, als musealisiert zu werden? Die Alternative heißt Mülldeponie. Da thront die kleine Ata-Büchse also über dem Waschbecken. Die Aufschrift ist blaß. Letztlich ist museale Aufarbeitung doch die angenehmere Form von Entsorgung.

„Tempolinsen und P2“, Ausstellung bis 31. 12. in Eisenhüttenstadt, Erich-Weinert-Allee 3 (Kita 2) und Poststr. 30, geöffnet Di 12-19, Mi-Fr 12-18, Sa, So, Feiertage 10-18, Eintritt frei