Stehende Ovationen für Darling Tony

■ Labour-Chef Blair verspricht der britischen Industrie, künftig ganz brav zu sein

Dublin (taz) – Es war ja ohnehin nur eine Frage der Zeit: Seit vorgestern sind Labour-Chef Tony Blair und der Verband der britischen Industrie (CBI) ein Herz und eine Seele. Er könne keinen Unterschied zwischen Blair und der Tory-Regierung mehr feststellen, sagte CBI-Präsident Bryan Nicholson und meinte es als Kompliment.

Der Labour-Chef hatte zuvor in seiner Rede vor der CBI-Konferenz in Birmingham „die erogenen Zonen seiner Zuhörer“ berührt, wie der Guardian es ausdrückte: langfristige Investitionen, solide Steuerpolitik, Ausbau der Infrastrukturen nach Beratung mit der Industrie und vor allem ein verbessertes Bildungswesen, damit der Industrie bessere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Als er dann auch noch der Europäischen Währungsunion, der Sozialcharta und dem Mindestlohn eine Absage erteilte, belohnten die versammelten Industrievertreter ihn mit stehenden Ovationen.

Blair versprach, daß die Labour Party bei den letzten beiden Punkten nichts unternehmen werde, ohne es vorher vom Industrieverband absegnen zu lassen. „Vorschläge sind genau das: nämlich Vorschläge“, sagte er. „Wir werden sie gemeinsam mit der Industrie auf ihren Wert hin untersuchen.“ In der Frage der Währungsunion müsse sich Großbritannien alle Türen offenhalten, meinte Blair: „Schwer zu sagen, ob es weitergeht wie geplant. Die Deutschen und die Franzosen gehen davon aus. Wir werden sehen. Es kommt darauf an, ob es im ökonomischen Interesse Großbritanniens liegt.“

Premierminister John Major sage genau dasselbe, freute sich Bryan Nicholson: „Ich habe vom Oppositionsführer nichts gehört, was sich davon groß unterschieden hätte.“ Majors Stellvertreter Michael Heseltine versuchte in seiner anschließenden Rede, verlorenen Boden gutzumachen, und wies auf Labours Steuerpolitik in der Vergangenheit hin. Doch es ist nicht mehr dieselbe Partei.

Die meisten Beobachter in Birmingham waren sich einig, daß Labours lange Reise, die Neil Kinnock in den achtziger Jahren begonnen hatte, nun fast zu Ende ist: Aus der Gewerkschaftspartei ist ein „Darling der Industrie“ geworden. Ralf Sotscheck