Halbzeit am Abwasserkanal des Ruhrgebiets

■ Vor fünf Jahren startete die Internationale Bauausstellung Emscher-Park. Von Visionen blieben Verbesserungen. Doch zuviel Beteiligung der Bürger stört

Auf einer Anhöhe östlich von Dortmund steht einsam ein Bushäuschen. „Emscherquelle“ heißt der Haltepunkt. Hier ist der Ort, an dem Deutschlands dreckigster Fluß entspringt, und hier ist der einzige Ort, wo im Emscherbett noch Wasser plätschert. Einige Kilometer weiter erinnert nur noch das Geräusch an fließendes Gewässer: Ein Blick in die Emscher ist ein Blick in Deutschlands Toiletten. Faulig stinkend wälzt sich trüber Brei am Betrachter vorbei. Der gesamte 80 Kilometer lange Flußlauf ist oberirdisch in ein Betonkorsett gezwängt – genau wie die knapp 300 Kilometer der Emscher-Nebenflüsse. Die 17 Kommunen im Emscher-Einzugsgebiet und die ansässige Industrie mißbrauchen die Emscher seit neunzig Jahren als billiges offen geführtes Abflußrohr. Erst an der Mündung in den Rhein, im Klärwerk Emschermünde, gilt deutsches Wasserrecht.

Das soll sich ändern: Vor gut fünf Jahren hob die Landesregierung NRW ein ehrgeiziges Projekt aus der Taufe: Die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher- Park sollte „konzeptionell, praktisch, politisch, finanziell und organisatorisch dem ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbau des Emscherraumes zukunftsweisende Impulse geben“, so der Einleitungssatz aus dem Memorandum zur IBA-Gründung. Doch zur Halbzeit ist solche Aufbruchstimmung reinem Pragmatismus gewichen. „Ganz wunderbar, was die IBA manchmal im Vergleich zur kommunalen Normalität geleistet hat“, so Frank Claus, der für die Umweltverbände im IBA-Lenkungsausschuß mitredet, „aber wenn man es vergleicht mit dem, was die IBA sich selbst als Ziel gesetzt hat, dann muß man sagen, sie ist an ihren Ansprüchen gescheitert.“ Der von der IBA groß angekündigte ökologische Umbau des Emscher-Systems ist zu einem Kompromiß zusammengeschnurrt: Sechs Großkläranlagen, davon zwei Neubauten, sollen künftig die Abwasserflut von siebzehn Kommunen mit der geballten Industrieansammlung in der Emscherregion bewältigen. Selbst IBA-Chef Karl Hanser sieht die Rolle der IBA beim Emscher-Umbau inzwischen eher bescheiden: „Wenn die IBA was bewirkt haben sollte, dann hat sie den Anstoß gegeben, daß diese Idee dann auch wirklich zum Durchbruch gekommen ist.“

Ein wichtiger Baustein des ökologischen Umbaus des Emscher- Systems ist die Führung der Abwässer in Rohre unter der Erde und die Renaturierung der Flußkorsette. Das erste der sechs geplanten Klärwerke in Dortmund- Deusen klärt seit Beginn diesen Jahres das gesamte Emscherwasser: Vorher trübe und ekelhaft stinkend, verläßt die Emscher die moderne Anlage so klar, daß man tatsächlich den Boden des Betonkorsetts erkennen kann. Doch bis die alte Emscher vollständig aus ihren Augen ist, müssen sich die Anwohner noch gedulden. Erst im Jahr 2015 soll das knapp 9 Milliarden teure gigantische Umbauprojekt aus Klärwerken und Renaturierung abgeschlossen sein. Arbeiten im Park ist hingegen mancherorts bereits Wirklichkeit. In Gelsenkirchen, Hamm und Herten forschen und entwickeln innovative Unternehmen auf alten Industriestandorten in Zukunftsbranchen wie Solarenergie und Photovoltaik oder – wie ab 1996 in Wattenscheid – in Ökotextilien. Vorzeige-Managerin Britta Steilmann wird dort, auf der ehemaligen Zeche Holland, ihre ganzheitlichen Bekleidungskollektion herstellen. Doch Eco Textil darf nur mit Auflagen starten: Der Boden muß einen halben Meter tief durch unbelastetes Material ersetzt werden.

Das Altlastenproblem wird in der Nachbarschaft noch viel deutlicher. Dort entstehen auf einem sanierten Randbereich des Holland- Geländes 113 Wohnungen für kinderreiche Familien. Die nicht sanierte Zechenbrache vor der Tür lädt die Kinder zu Erkundungen ein: Bergehalden, alte Zechengebäude, Förderturm und alte Gleisanlagen – ein Abenteuerspielplatz mit besonderem Thrill: Die Bodenluft der Brache ist mit Benzolen kontaminiert.

Dazu kommt die nach wie vor mangelnde Offenheit der Behörden. Selbst Frank Claus als Mitglied im IBA-Lenkungsausschuß „konnte nur unter größten Schwierigkeiten an konkrete Unterlagen“ zu manchen Standorten gelangen. Auch hier prallen IBA-Anspruch und Wirklichkeit aufeinander. Eigentlich müßte die IBA sich die Zeit nehmen, ihre Projekte auf den Prüfstand zu stellen, um deutlich zu machen, inwieweit die eigenen Ansprüche an Ökologie und Demokratie eingehalten werden. Doch die Macher um IBA-Direktor Karl Ganser sehen das anders. „Die eigentliche Vision ist, aus einer Vision ganz was Praktisches zu machen, was ganz schnell umzusetzen. Nicht lange reden, sondern machen.“ Die IBA hat wohl keine Zeit für Demokratie. Detlef Stoller