Tudjman schützt Kriegsverbrecher

Kroatiens Präsident übernimmt den vor dem Tribunal in Den Haag angeklagten Ex-Kommandanten der kroatisch-bosnischen HVO-Truppen Tihomir Blaskić in die kroatische Armee  ■ Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) – Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hält seine schützende Hand über einen bosnischen Kroaten, der vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagt ist. Demonstrativ berief der kroatische Präsident am Dienstag den Generalstabschef des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) in Bosnien-Herzegowina, Tihomir Blaskić, in den Inspektionsdienst der kroatischen Armee. So wird der frühere Oberkommandierende der kroatisch- bosnischen Truppen jetzt in Kroatien Dienst tun. Blaskić ist eine der Schlüsselfiguren für die kroatischen Verbrechen in Zentralbosnien im Jahre 1993, die den 1994 durch die Bildung der kroatisch- muslimischen Föderation beendeten „Krieg im Kriege“ zwischen HVO und den bosnischen Regierungstruppen provozierten.

Am 16. und 17. April 1993 wurden 123 Bewohner des zentralbosnischen Dorfes Ahmici von Soldaten des kroatischen Verteidigungsrates (HVO) eingekreist, in ihre Häuser gesperrt und in diesen Häusern verbrannt. Die Bilder der verkohlten Leichen gingen drei Tage später um die Welt – Zeugnisse des Terrors gegenüber der muslimischen Bevölkerung im Lašva-Tal. So begann der „Krieg im Kriege“.

In Den Haag ist mit dem Vorsitzenden der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) in Bosnien-Herzegowina, Dario Kordić, eine weitere Schlüsselfigur der kroatischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina angeklagt. Auch die anderen Angeklagten waren während des „Krieges im Kriege“ in Zentralbosnien große Fische: Mario Cerkes, HVO-Kommandant in der zentralbosnischen Stadt Vitez, Ivan Santic, der Bürgermeister, Pero Skopljak, der Polizeichef, und Zlatko Aleksovaski, der Gefängnisdirektor von Mostar. Sie müssen sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Es sind weitere Anklagen zu erwarten gegen jene Verantwortlichen, die zur gleichen Zeit im Tal der Neretva, in Mostar, in Čapljina und Stolac große Verbrechen begangen haben. In den damals von der HVO eingerichteten Konzentrationslagern Gabela und Heliodrom in Dretelj wurden Tausende von muslimischen Männern interniert.

Es scheint jedoch möglich, daß Tudjman einige der wichtigsten Kriegsverbrecher fallen läßt. Gerade Dario Kordić kann nicht mit Sympathie rechnen. Der ehemalige Soziologe an der Universität Sarajevo, der 1993 zum Oberkommandierenden der HVO-Truppen in Zentralbosnien mit Hauptquartier in Busovaca aufgestiegen war, gilt auch in Kroatien schlicht als Krimineller. Nie verstummt sind die Gerüchte, daß Kordić 1993 nach Plünderungen muslimischer Häuser bei einem Streit um die Beute eigenhändig einige seiner Unterführer ermordet habe. Ende April 1993 ließ Kordić ein Konzentrationslager für die muslimische Bevölkerung von Busovaca einrichten. Viele muslimische Frauen sind damals verschwunden – Spuren führten in Vergewaltigungslager der HVO. Die bis dahin überlebenden Gefangenen wurden erst wieder freigelassen, als die bosnische Armee zu Vergeltungsschlägen ansetzte. Die aus Vitez stammenden Angeklagten haben sich zudem für Verbrechen an Flüchtlingen zu verantworten. Ein Konvoi aus mehr als 500 Fahrzeugen, der 1993 Lebensmittel von der kroatischen Küste ins bosnische Tuzla bringen sollte, wurde mit Waffengewalt in Vitez ausgeraubt, einige Fahrer wurden erschossen.

Goldstone will nicht mehr

Den Haag (AP) – Der Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Richard Goldstone, droht mit Rücktritt. Goldstone erklärte, er werde diesem Gedanken „ernsthaft nähertreten“, wenn der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić und dessen Armeechef Ratko Mladić Immunität erhalten sollten.