Monotonie in Viskose und Mohair

Schöne Stimme, schöne Stimmung: Die Chansonette Cora Frost spielt eine Art Schneewittchen und heiratet vielleicht sogar Helge Schneider – „So blau“ in der Bar jeder Vernunft  ■ Von Anke Westphal

Cora Frost kommt aus München und ist eine ebenso ehemalige wie erfolglose Stripteasetänzerin. Sie lebt seit gut zwei Jahren als „Chansonette“ – wahlweise „Sängerin“ – in Berlin, obwohl sie diese Stadt hassen muß wie den Deibel. Frau Frost: „Berlin tötet jede Erotik ab“, muß also nachgerade den Tod jeder erotisch inspirierten Diseusen-Darbietung zur Folge haben, so möchte man meinen. Dennoch – oder vielleicht gerade mittels dieser Verachtung – reüssierte die Frau am ungeliebten Orte als Diva der Kleinkunst.

Fast hätten wir wegen schlechter Sicht aufgrund von Überfüllung nicht beschreiben können, wie sich eine Diva heutzutage kleidet. Nun, sie kleidet sich in ein silbern fließendes Viskosegewand im Stil alter Ufa-Filme, welches durch ein rotes Mohairjäckchen komplettiert wird. Das Jäckchen wirft die Dame Frost alsbald von sich, um es gleich darauf als Schal um den Schwanenhals zu drapieren. Uns schwant nichts Gutes: Genauso ist die berühmte Tänzerin Isadora Duncan ums Leben gekommen – ihr roter Schal hat sie erwürgt.

Cora Frost sieht aus wie Schneewittchen, Schnee und Blut, denkt unsereins, erfrischt durch den Wein, mit dem die Bedienung unser Knie begießt. Dann geht es los. „So blau“ heißt das Programm, mit welchem sich die Dame Frost nun ans überaus positiv voreingenommene Publikum wendet. Ach Sehnsucht, nicht etwa so blau wie Novalis' blaue Blume der Romantik, sondern „so blau wie eine – Bratwurst“. Das findet unsereins schon mal gar nicht komisch, auch wenn es von den hinteren Plätzen dreckig „hähähä“ keckert.

Aber weiter: Die Dame Frost kickst und gurrt, erstaunlicherweise wie Siouxie Sioux und manchmal wie PJ Harvey. Wie interessant, Chanson ist also auch Pop, wie dann auch die Halbwelt wohl Pop sein muß. Dann wieder tut die Dame Frost forsch wie Claire Waldoff und mißvergnügt wie Otto Reutter. Oh wie schrecklich, daß wir so alt und so extreeem gebildet sind und deswegen in allem etwas erkennen und ein jegliches vergleichen müssen, während um uns herum munter gekichert wird.

Dafür, daß wir herumsitzen wie ein Stockfisch, kann also die Dame Frost womöglich rein gar nichts, wenn sie mit großer Geste kleinen Scheiß vorträgt, mal in Form eines Couplets oder einer Brecht-Parodie, vorzugsweise kreuzgereimt, was ja durchaus zu erheitern vermag. „Ist gar nicht ohne / das Monotone“, sprechsingt die Dame Frost – wie recht sie doch hat! Und doch, es riecht gar zu sehr nach Handwerk, ist allzu gemacht das Ganze, und das nicht einmal richtig gut. Finden wir und grummeln böse über dieses Halbdings zwischen Perfektion und Programm.

Wenn die Dame Frost nun noch ein wenig – und zwar hübsch debil – nölen würde, könnte sie Helge Schneider heiraten, danach sollten die beiden viele kleine Kabarettisten zur Freude eines so verständigen wie liebenden Publikums zeugen. Egon Friedell jedoch nannte diese Art Kleinkunst, bei der der Künstler zu genau weiß, was er tut, „Café chantant“ oder noch bissiger „korrekt betriebenes kleines Varieté“. Als die Dame Frost eine Persiflage auf den Punk mit den Worten ankündigt, jetzt käme etwas von „Joseph Rotten“, der zur Gruppe der „Sex Pistolen“ gehörte, verlassen wir diesen Ort unziemlich früh – und zwar zappenverdrießlich: Entweder überzeugtes Woolworth oder KaDeWe, dazwischen ist Mist. Unser Abmarsch wurde durch Blicke schwer mißbilligt.

Aber, um mit xy – war es Otto Reutter? – zu sprechen: „Da wirft wer seinen Hut / wie mich das ärgern tut.“ Wir gehen uns betrinken – ach, was heißt hier betrinken, „heute muß man froh sein, wenn man nach Hause kommt und das Schlüsselloch nicht gleich find't“ (auch vom allerliebsten Friedell). Bleibt nur übrig, zerknirscht zu gestehen, daß uns der Zutritt zu gewissen Arealen des Kultes wohl auf ewig verwehrt sein wird.

Mäh.

Cora Frost mit „So blau“, bis 3.12., Mi-So, 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 32, Charlottenburg