Zwischen den Rillen
: Superstars als Versuchskaninchen

■ ... denn sie wissen nicht, was sie tun sollen: Brian Eno hat mit den Ex-Breitwandrockern U2 psychomusikalische Rollenspiele gespielt

Brian Eno hat's drauf. Er hat eine Menge guter Platten produziert, hat fast im Alleingang ein komplettes musikalisches Genre erfunden (Ambient) und ist außerdem einer der wenigen Popmusiker, die auch in anderen kulturellen Bereichen ihre Duftmarke hinterlassen konnten: Eno lehrt Malerei an Kunsthochschulen, stellt eigene Multimediakunst aus und gibt sich in Interviews immer wieder als einer der klügsten Anwender neuer Technologien zu erkennen – ein Visionär der Vermenschlichung harter Datenreihen und linearer Befehlsabläufe. Doch auch in seiner Vita gibt es dunkle Punkte: Eno hat mehrere U2-Alben produziert.

Warum, so fragt man sich händeringend, läßt sich Professor Eno immer wieder mit den irischen Breitwandrockern ein, deren pompöse Selbstgefälligkeit und inhaltliche Hohlheit einen so auffälligen Kontrast zu seiner eigenen kultivierten Differenziertheit bilden? Ist es das liebe Geld, das den Meister aus seinem Labor lockt? Fühlt er sich geschmeichelt, da die zeitweise größte Rockband der Welt ihn als Mentor betrachtet und willig seine Ideen umsetzt – so zum Beispiel auf ihrer von Eno konzipierten Zoo-TV-Tour?

Oder vermag Eno mit dem ihm eigenen Scharfblick in U2 Qualitäten zu entdecken, die den zahlreichen Feinden der Band, die vier trübe Tassen am Werk sehen, bisher verborgen geblieben sind?

Inzwischen ist Eno jedenfalls nicht mehr nur der Produzent von U2. Eno, Bono, The Edge und die anderen haben zusammen eine Studioband namens Passengers gebildet, die nun mit dem Album „Original Soundtracks 1“ an die Öffentlichkeit tritt.

Enos Arbeitsmethoden im Studio sind, gelinde gesagt, ungewöhnlich. Es kommt ihm nicht darauf an, der ihm anvertrauten Band durch einfühlsames Knöpfedrehen einen Sound zu verpassen, in dessen Rahmen die einzelnen Kompositionen und Instrumente besonders stimmig konserviert werden können. Alles, was schon vor Beginn der Aufnahmen existiert, ist ihm hinderlich, will er doch jedesmal wieder neue Wege des Musikmachens entwickeln. Eno ist heute eine Mischung aus Regisseur und Psychogruppenleiter, der aus den ihm anbefohlenen Musikern Kunst herauskitzelt, indem er sie ausgeklügelte Rollenspiele spielen läßt. Eine Eno-Session beginnt damit, daß der Meister das Studio mit bunten Tüchern verhängt, neben dem Mischpult eine Staffelei aufstellt und an die anwesenden Musiker Kärtchen verteilt, auf denen sie lesen können, daß sie für das nächste Stück in die Rolle eines Kaufhausdetektivs im Osaka des Jahres 2011 schlüpfen sollen. Welche Sounds würde diese Person wohl goutieren? Wie könnte man seinen Alltag musikalisch untermalen? Laß dich von Eno aufschließen, und entdecke deine Kreativitätsreserven!

Auf diese Art entstand das letzte David-Bowie-Album, für das Bowie die Rolle eines Privatdetektivs verpaßt bekam. Um U2 auf neue musikalische Felder zu führen, hat sich Eno ein Dutzend imaginäre Filmplots ausgedacht, die die Passengers vertonen mußten – deswegen „Original Soundtracks 1“. Die Szenarios, in wenigen Zeilen im Booklet umrissen, sind ein besonderer Spaß. Sie weisen Eno als Freund des fernöstlichen Action-Kinos und des SF- Films aus, verbeugen sich vor „Tetsuo“, Tsui Hark, Fellini, Polanski und Chris Markers „Sans Soleil“. Doch was bringen U2 zustande, vor die Aufgabe gestellt, eine „atemberaubend choreographierte“ Kampfszene zu vertonen, die vier amerikanische Bodybuilderinnen in den Slums von Hongkong auf die Totschläger des lokalen Tong-Syndikats treffen läßt?

Man weiß es nicht genau. Die Stücke sind sicherlich alle gelungen: Alle schaffen grafische Klangatmosphären, die sich im Spannungsfeld zwischen Ambient, Mo'Wax und japanischer Experimentalmusik darum bemühen, möglichst bildhaft im Raum zu stehen. Aber wie groß der Anteil der Rockband U2 an diesen Klängen ist, bleibt im dunkeln. Nur einmal auf der gesamten Scheibe läßt The Edge einen dichten Gitarrenakkord erklingen. Bono ist kaum häufiger zu hören, und was Bassist und Schlagzeuger beisteuern, ist sowieso mehr oder weniger austauschbar. Sind U2 auf unerhörte Weise über sich hinausgewachsen? Eher drängt sich der Verdacht auf, daß „Original Soundtracks 1“ im wesentlichen das Produkt von Eno und dem „extra passenger“ Howie B, einem englischen DJ und Remixer, ist, dessen musikalische Fähigkeiten Eno in Interviews wiederholt gepriesen hat.

Brian Eno ist jemand, der seine Lebenskraft daraus zieht, sich immer wieder überraschen zu lassen. Man kann vermuten, daß er U2 gerade deshalb zu Versuchskaninchen in seinem psychomusikalischen Klanglabor machte, weil er um die musikalischen Grenzen der Band weiß. Hätte ja doch sein können, daß die vier Typen bei besonders guter Stimulierung durch besonders plastische Szenarios zu neuer, überraschender Form auflaufen. Schade, aber toll.

Immerhin hat Eno bewiesen, daß er inspirierendere Bilder als Wim Wenders in seinem Kopf hat: Die zwei Stücke, die U2 für den neuen Wenders/Antonioni- Film „Beyond The Clouds“ geschrieben haben und die auch auf „Original Soundtracks 1“ enthalten sind, sind nämlich mit Abstand die schwächsten der Platte. Johannes Waechter

Passengers: „Original Soundtracks 1“ (Island)