Frankreich soll den Gürtel enger schnallen

Premierminister Juppé stellt ein gewaltiges Sparpaket vor, das etliches verwirft, was Präsident Chirac im Wahlkampf versprach. Das Parlament stimmt mit überwältigender Mehrheit zu  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Bravo!“ rufen Arbeitgeber und die Börse, „Generalstreik!“ die Gewerkschaften. Das Sparprogramm in der französischen Sozialversorgung stößt auf widersprüchliche Reaktionen. Die Streichungen betreffen fast alle Franzosen – ihr Ausmaß wird den meisten erst allmählich klar.

Weitreichendste Maßnahme des von Premierminister Alain Juppé vorgestellten Sparpaketes, das am Mittwoch abend mit überwältigender Mehrheit im Parlament angenommen wurde, ist eine auf 13 Jahre angesetzte Sondersteuer von 0,5 Prozent auf alle Einkommen – auch auf Sozialleistungen und Kapitalerträge. Nur die Sozialhilfe und besonders niedrige Renten sind ausgenommen. Daneben beschlossen die Parlamentarier Einsparungen bei der medizinischen Versorgung und bei den Beamtenrenten, das Einfrieren der Familienunterstützung und die Verschiebung der Hilfe für Pflegefälle, die Präsident Jacques Chirac im Wahlkampf versprochen hatte.

Im einzelnen sollen die Beitragssätze für die Krankenversicherung steuerzahlender Rentner und Arbeitsloser, die mehr als den garantierten Mindestlohn erhalten, 1996 und 1997 um je 1,2 Prozent angehoben werden. Genau wie die Beschäftigten in der Privatwirtschaft sollen künftig Beamte 40 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung zahlen statt 37,5 Jahre.

Im Gesundheitswesen will Juppé die Kosten auf zwei Wegen senken: Zum einen soll das französische Parlament in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Arbeitgebern jährlich einen Ausgabenrahmen für die Krankenversicherungen festlegen. Zum anderen soll ein Patienten-Paß eingeführt werden, in den sämtliche Arzttermine eingetragen werden müssen. Damit soll verhindert werden, daß Patienten aus eigenem Antrieb mehrere Ärzte konsultieren. Künftig müssen sie vor jedem Besuch bei einem Spezialisten eine Überweisung von ihrem Allgemeinmediziner einholen. Ausländer müssen für eine Krankenhausbehandlung im voraus zahlen.

Premierminister Alain Juppé hatte das Sparprogramm dem Parlament als „nationale Notwendigkeit“ präsentiert. Die zusätzlichen Einnahmen und Einsparungen sollen dazu dienen, das Defizit der Sozialversicherung – bestehend aus Krankenkasse, Altersversorgung und Familienfürsorge – abzubauen, das umgerechnet etwa 70 Milliarden Mark beträgt.

Daß Frankreich sparen müsse, hatte Präsident Chirac bereits vor ein paar Tagen deutlich gemacht, als er in einer Fernsehansprache sein eigenes Wirtschafts- und Sozialprogramm über den Haufen warf. Statt Kampf gegen das soziale Elend propagierte er plötzlich eine Austeritätspolitik „für zwei Jahre“. Zur Erklärung sagte der Präsident, er habe die wirtschaftlichen Probleme „möglicherweise unterschätzt“.

Kurz danach bildete Chirac auch die Regierung um. Juppé blieb Premierminister. Aber acht der zwölf Frauen flogen raus. Auch die Nachwuchspolitiker mußten gehen, und mehrere neu geschaffene Ressorts mit Phantasienamen wie „Solidarität zwischen den Generationen“ verschwanden wieder. An ihrer Stelle kam Jacques Barrot als Sozialminister mit weitreichenden Kompetenzen.

In den Tagen vor der Abstimmung im Parlament hatte die Regierung intensive Gespräche mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern geführt. Was dabei über das Sparprogramm herausgesickert war, reichte zwar zu einem landesweiten Aufruf zu Protestdemonstrationen am vergangenen Montag, doch besonders gut besucht waren die nicht.

Seit Mittwoch abend mehrt sich die Empörung: Sozialistische und kommunistische Oppositionelle rechnen vor, daß vor allem sozial Schwache Opfer des Plans seien. Ärzte prangern eine Reglementierung an, die sich nicht an der Gesundheit, sondern ausschließlich am Budget orientiere. Und die meisten Gewerkschaften riefen zu Streiks am Ende des Monats auf.