Die erneute Entdeckung Lateinamerikas

■ Zusammen mit Bundespräsident Herzog loten deutsche Unternehmer zur Zeit die Absatzchancen in den Mercosul-Staaten aus / EU baut Handelshemmnisse auf

Rio de Janeiro (taz) – Aus deutscher Sicht ist der Warenaustausch mit Brasilien eine „komplementäre Ergänzung“. Nüchtern betrachtet spiegelt er den typischen Handel zwischen Schwellenländern und Industrienationen wider: Brasilien exportiert Rohstoffe und Halbfertigwaren nach Deutschland und kauft dort teure Investitionsgüter. Wie unausgeglichen die Handelsbilanz mit dem wichtigsten europäischen Wirtschaftspartner ist, können die Brasilianer während der deutsch-brasilianischen Technologieausstellung (Febral) Ende des Monats in São Paulo persönlich sehen. Die Leistungsschau steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Roman Herzog, der heute zu einem zehntägigen Staatsbesuch nach Brasilien aufbricht.

In Wirklichkeit geht es für die deutsche Wirtschaft darum, nach Asien nicht auch noch Lateinamerika an die internationale Konkurrenz zu verlieren. Seit dem Zusammenschluß von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zum gemeinsamen Markt „Mercosul“ winkt die Region mit ihren 200 Millionen EinwohnerInnen und einem gemeinsamen Bruttosozialprodukt von 800 Milliarden Dollar als potentieller Absatzmarkt für deutsche Exportgüter. Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) schrumpfte der deutsche Anteil an den weltweiten Exporten nach Lateinamerika seit 1986 von 6,6 Prozent auf 5 Prozent.

„Es ist wichtig, daß wir uns auf die Socken machen“, meinte BDI- Chef Hans-Olaf Henkel, der zusammen mit einer hochrangigen Unternehmerdelegation und Wirtschaftsminister Günter Rexrodt den Bundespräsidenten begleitet. Die Brasilianer erhoffen sich von der deutschen Offensive mehr Direktinvestitionen, statt einer Importwelle von Investitionsgütern. Tatsächlich hat Mercedes seine Busproduktion bereits nach Brasilien verlagert, und Siemens will dort größere Generatoren als in Berlin herstellen. Bis jetzt schlägt sich das aber nicht in der Handelsbilanz nieder. Beim ökonomisch bedeutenden Eisenerzexport ist die Situation hingegen noch klassisch.

„Sicherlich würden die Brasilianer lieber ihren eigenen Stahl produzieren, anstatt Eisenerz zu exportieren“, räumt der Leiter der deutsch-brasilianischen Handelskammer in São Paulo, Klaus Lege, ein. Doch sowohl der chronische Kapitalmangel als auch der unmittelbare Devisenbedarf verhindern hier einen Umbau: Eisenerz bringt ein Fünftel der brasilianischen Ausfuhren nach Deutschland im Wert von 3,1 Milliarden Dollar.

Für Brasilien wichtig, für Deutschland marginal

Nach Angaben der deutsch-brasilianischen Handelskammer sind 69 Prozent der brasilianischen Exportprodukte Lebensmittel, Rohstoffe und Halbfertigwaren. Was für Brasilien 7,2 Prozent seiner Gesamtausfuhr in Höhe von 43,5 Milliarden Dollar bedeutet, schlägt in Deutschlands Importstatistik nur mit 0,8 Prozent zu Buche. Die Waren, die Deutschland 1994 in Brasilien absetzte, machen zehn Prozent der gesamten brasilianischen Importe aus, jedoch nur 0,7 Prozent der deutschen Exporte.

Im brasilianischen Außenministerium zeigt man sich über den Handel mit der EU verärgert. „Die Exporte stagnieren seit 1989 bei zehn Milliarden Dollar“, informiert eine Mitarbeiterin aus der Außenhandelsabteilung. Während Brasilien seine Zollschranken abbaue, sei ein Eindringen in die Festung Europa immer schwerer. Im letzten Dezember strich die EU bis 1998 die Einfuhrbegünstigungen für Papier und Zellulose, Chemieerzeugnisse, Lastwagen, Lederwaren, Schuhe und Stahlprodukte – genau die Waren, die Brasilien exportiert. Hinzu kommen die EU- Landwirtschaftssubventionen. Daß Mercosul den Handel mit Europa ersetzen kann, hält die Diplomatin für unwahrscheinlich: „Wir machen uns gegenseitig Konkurrenz, weil wir alle dasselbe produzieren.“ Astrid Prange