Gewalt im Opernorient Boutiqu

■ Premiere am Goetheplatz: Mozarts„Entführung aus dem Serail“

Ein harmlos gehandhabtes „Türkensingspiel“ mit den üblichen Komödienklamotten aus dem Provinztheater: so kennen viele Wolfgang Amadeus Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Dem Opernfan ist allerdings nicht entgangen, daß Mozarts frühes Meisterwerk schon kräftig „Gegen-den-Strich-gebürstet“ wurde: so durch die sozial-psychologische Seelenfinsternis einer Ruth Berghaus, die scharfe Psychoanalyse der Arbeit eines Peter Mussbach oder auch durch die bei jeder Person offengelegten Lebenswunden eines Herbert Wernicke. Dies sind nur drei Beispiele dafür, daß wir mit dem „deutschen Singspiel“ schlechthin - so der traditionelle Opernführer - eine bedrohliche und grausame Story von menschlichem Sklaventum und der Abhängigkeit von Frauen vor uns haben. Chris Alexander, der jetzt in Bremen das Werk in Szene setzte, wird nicht nur diese Interpretations-und Rezeptionsschiene kennen, er denkt und arbeitet auch selber so.

Also ist auch am Bremer Goetheplatztheater Mozarts Singspiel kein humanistisches Weihnachtsmärchen, kein Boutiquenorient, sondern zeigt menschliche Schicksale zwischen dem „Fremden und dem Eigenen“: einmal zwischen Orient und Abendland, zum zweiten zwischen den unentdeckten Polen der eigenen Seele. Zentrale Figur in Alexanders Entwurf ist in diesem Sinne die Sprechrolle des Bassa Selim, ein Zwillingsbruder des Thoas aus Goethes Iphigenie, auch ein Bruder des Sarastro, hervorragend gespielt von Jan Eberwein: reglos sitzt er am Ende in grenzenloser Einsamkeit da.

Seine orientalische Position als Tyrann, als Bassa erlaubt ihm die Vergewaltigung Konstanzes, sein echtes Gefühl für sie macht ihn zu einem Bittsteller der Liebe. An seiner ambivalenten Haltung entzündet sich die seelische Verwirrtheit der Konstanze, die sich ihrer Beziehung zum fernen Belmonte keineswegs so sicher ist. Viele Gesten zwischen Grobheit und Zartheit machen das deutlich. Die große Martern-Arie der Konstanze allerdings läßt keinen Zweifel offen: hier steht nackte Gewalt unmittelbar bevor, Konstanze wurde bereits in den Raum mit dem Doppelbett geschafft. Selten sind ihre halsbrecherischen Koloraturen dramaturgisch so gut umgesetzt worden wie hier: Konstanze scheint sich wieder besseres Wissen an ihnen festhalten oder auch sich mit ihnen wehren zu wollen. Heikel in Chris Alexanders Arbeit ist die Tatsache, daß die SängerInnen gelegentlich in leere Sängerposen zurückfallen und den offensichtlich intendierten Ansatz häufig nicht beherrschen und ihn auch nicht durchalten. So sind immer wieder konventionelle Komödiennettigkeiten zu sehen, die den Ernst des Ansatzes aufweichen.

Die Konstanze Celina Lindsley mußte sich wegen Indisposition entschuldigen lassen, sie schlug sich mehr als wacker. Den Belmonte als Milchgesicht des Ancien Régime darzustellen, wird inszenatorische Absicht gewesen gewesen sein, der Gesang Shivkov Shelevs war leider nicht viel mehr als das ordentliche Abliefern zahlreicher Arien. Anu Komsi, die schon mehrfach mit ihrer absolut ungewöhnlichen Stimme positiv auffiel, scheint als Blonde nur bedingt richtig besetzt: ihrer Stimme fehlt Lyrik und damit die doch sehr notwendige Mozartsche Expression, was in krassem Gegensatz zur darstellerischen Präsenz ihrer Partie steht. Christian Weinhara als Pedrillo waren die Klischees des lustigen Burschen nicht ganz auszutreiben. James Moellenhoff als Haremsaufseher Osmin bot ein rundes Bild als nicht nur grausamer, sondern höchst verletzter Mensch, der wirklich vor Belmonte und Pedrillo auf der Hut sein muß. Sehen wir mit dem gemalten und nicht gebauten Bühnenbild von Maren Christensen schon die Anzeichen übermäßiger Sparanstrengungen? Egal, so, wie es ist, ist es gelungen, hat Atmosphäre und bietet den richtigen Rahmen für das Gefängnis der vier Europäer im türkischen Palast.

Leider kam von Philharmonischen Staatsorchester unter der Leitung von Ira Levin nicht das differenzierte Bild, das die Inszenierung anstrebte, aber eben auch nicht immer durchhielt. Forscher, glatter Vorwärtsklang, wenig Zwischentöne, und leider auch häufig mangelnde Koordination zwischen Bühne und Orchester.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 30. 11. 19.30 und 5. 12. 19.30