"Hört, hört!"

■ Besinnung aufs nackte Wort: An der Berliner Akademie der Künste fand zum neunten Mal die "Woche des Hörspiels" statt

Letzte Woche am Berliner Hanseatenweg: Begeistert brüllt ein jugendlicher Erich Honecker Sozialistisches ins krackelnde Mikro. Worauf die FDJ-Versammlung jubelt „wie ein Mann“. Dann trällert ein helles Stimmchen das flotte Lied von der Kollektivarbeit. Aufgekratzt schwärmt ein Mädchen von seinem Job als Brigadier – sie kommandiert „15 Mann – und alles Mädchen“.

Nicht erst jetzt brüllt das Publikum vor Lachen über die großen Töne, die der SR für seine Collage „Dem (D)eutschen (V)olke. Oder: So lang der Kalte Krieg“ aus den Rundfunkarchiven wühlte. Auch wenn westliche Stimmen pathetisch Moralapostel spielen – „Ihr seid nicht frei, ihr seid nicht gut, ihr seid nicht deutsch!“ – prustet heitere Empörung durch den diskret beleuchteten Hörsaal. Eine geballte Ladung ost-westlicher Drohgebärden aus den frühen fünfziger Jahren hat dieser Polit- Ping-Pong zusammengebracht. Womit er das Hörvolk nicht nur belustigt, sondern auch einen deutsch-deutschen Austausch anregt. Die Gegner von einst stellen sich nun Verständnisfragen zu den großspurigen Wortgesten.

„Was sind Komsomolzen?“ flüstert meine Sitznachbarin zur Linken. Und rechts will man wissen: „Wer war denn McCloy?“ Beachtlich, daß diese O-Töne auch im sechsten Jahr des neuen Deutschland so viele Neugierige anzogen. Und glaubt man den amüsierten und manchmal betroffenen Stimmen in der anschließenden Diskussion, so war das ein Hörspiel für jeden Geschmack. (Von der völlig überflüssigen Genrekritik – „Das war doch ein Feature, kein Hörspiel?“ – einmal abgesehen). Verständlich also, daß diese Produktion den Preis der Publikumsjury erhielt. Ein „Streichelpreis“, so die siegreiche Dramaturgin, der nämlich nur symbolisch überreicht wird und nach kurzem Festhalten wieder an die Akademie zurückgeht.

Auch die „Moss Tales“ (SFB) sind eine Art O-Ton-Story. In eigenwilligem Deutsch-Englisch erzählt David Moss subjektiv erlebte Zeitgeschichte. Er improvisiert, vokalisiert, singt von seinen Europareisen. Wobei in diesen witzigen und messerscharfen Klangcomics die Stimme des Musikers und seine Percussions gleichberechtigte Instrumente sind. Im Anschluß an die Vorführung verfiel die Mehrzahl der HörerInnen ins Schwärmen, und die Jury dankte dem Lautsprachkünstler mit einer lobenden Erwähnung.

Insgesamt fiel das diesjährige Hörfestival dadurch auf, daß auffällig viele Produktionen aufs nackte Wort zurückgriffen. Ein Merkmal, das auch als Identitätsfrage des Kulturfunks gedeutet werden könnte. Denn wie überall im Kulturbetrieb bestimmen auch die HörspielmacherInnen derzeit ihre Zielrichtung neu. Gedrängt von der Notwendigkeit, aufs Worthäppchen-Diktat der Medien und ein verändertes Rezeptionsverhalten der Kundschaft zu reagieren. Während es also hinter den Kulissen brodelt, präsentiert man nach außen die „stabile“, anspruchsvolle narrative Form. Derweil sich die kompositorisch-assoziative Tonkunst ein wenig ausruht.

Aber die Zukunft wird sicher dem „Sandwich“-Prinzip gehören, einer kernigen Mischung aus bißfestem Schwarzbrot mit populistischem Ketchup, fettarmem Käse und scharfen Mixed Pickles. In dieser Woche aber stand noch überwiegend Erzählerisches im Programm. Wir hörten „Unta de Dächa“, eine schwarzhumorige Sozialgroteske. Wieder hält der ORB sehr lobenswert die Stellung als „Robin Hood“ der ARD. Auch „Frauentags Ende oder die Rückkehr nach Ubliaduh“ (MDR), die komische Zeitreise zweier DDR- Bohemiens durch Kalten Krieg und Wiedervereinigung zeigt Historie von unten. „Europoly“ (HR) zieht die Kreise ein bißchen weiter und beschwört durch Klangbrücken von Helsinki über Rom, nach Moskau, Basel, Bukarest die europäische Idee. Wie geschaffen für die öffentliche Hörbühne ist „Werwölfe“ (DLR), die Hörspielversion des umstrittenen Texts von Stefan Schütz. Subtil und ohne Pathos wird hier die Geschichte eines russischen Massenmörders mit dem Chaos der zerfallenden Sowjetunion verschränkt. Peter Groegers streng rhythmisierte Sprachregie bringt starke Bilder ohne Monumentalität hervor und verhindert gleichzeitig den Absturz aufs Sensationsniveau. Anstelle der knalligen Schlachtplatte also zeigt das Stück archaische Zerstörungswut, die von der Zivilisation nur mühsam überwältigt, nicht aber bewältigt wird. „Hotels“ (BR) ist das einzige Hörspiel im Reigen, das sich auf die Assoziationskraft von reiner Dichtung verläßt und ins akustische Medium zu übertragen versucht. Ob „Graumann im Lande S.W.I.F.T.“ (WDR) das Serum gegen die Worthäppchenkrankheit fand, weiß ich nicht. Ein gebildeter Herr jedenfalls sah das so und fand dieses neunzig Minuten lange literarische Krimikonstrukt „ziemlich mitreißend“. Gaby Hartel