Die Jugend erforscht den Deoroller

Überqualifiziert, unterqualifiziert, bloß nie passend: „All work no play“, ein Ausstellungsprojekt im Festspielhaus Hellerau/Dresden, zeigt, wie KünstlerInnen mit den Tücken von Arbeit, Leben und Freizeit umgehen  ■ Von Susanne Altmann

Vor einiger Zeit meldete sich die New York Times zu Wort und ergründete, warum es mit der Ökonomie Europas nicht anders als bergab gehen könne. Zum Präzedenzfall für diese These hatte sie sich Deutschland erkoren, das mit seinen unanständig langen Urlaubszeiten, der kurzen Arbeitszeit und den zahllosen Feiertagen geradewegs in den Kollaps steuere.

In Dresden begegnet man derzeit dem erhobenen Zeigefinger aus der Neuen Welt mit einer Ausstellung zum Thema „All work no play“. Micha Kapinos, konzeptioneller Triebwagenführer dieses Projektes, steuert seine Maschine, die Kunst mit der Arbeitswelt vermischt, auf neuverlegten Gleisen den schmalen Grat zwischen „work“ und „play“ entlang und darf sich freuen, was ihm dabei in dem ruinösen Saal des Festspielhauses von Heinrich Tessenow (1911) geglückt ist.

Denn thematische oder gar programmatische Gruppenausstellungen gehören noch immer zum fallenreichsten Terrain für Ausstellungsmacher. Dresdens Kulturlandschaft hat in den letzten Jahren immer wieder disparate Assemblagen erdulden müssen, bei denen sich unter Titeln wie „Zeitsprung“ oder „Zeit.Blick“ dilettantische Kuratoren um Profil bemühten. In diesem wüsten Land ragt seit letztem Jahr der Kulturverein Hellerau heraus, der mit dem inspirierend verwahrlosten Gelände im Herzen der reinlichen Gartenstadt einen Ort für Konzepte wie dieses bietet. Seit Beginn des Jahrhunderts, als hier die Wiege der Reformbewegung, des modernen Ausdruckstanzes und der rhythmischen Bewegungsgymnastik des Monsieur Dalcroze stand, haben sich Begriffe wie Arbeit und Freizeit drastisch verändert.

Für Ostdeutschland hat sich diese Entwicklung in den letzten fünf Jahren im Zeitraffertempo zugetragen. Und so gleicht der Aufschwung Ost auch einem Katapultieren ins Begriffsvakuum: Via und Pina Lewandowsky lassen einen jungfräulich-weißen Blauhelm in einem Gerüstfragment (den Symbolen der hektischen Bauerei hierzulande) in längeren Abständen hochschnellen und zurück auf eine Trittplanke fallen. Blinde Wühltätigkeit, die nicht nach der Zukunft unzähliger Investitionsobjekte und ihrer Erbauer fragt, wird hier ad absurdum geführt: „What goes up must come down“, und schon wieder ein hohles Poltern.

Der abgeblätterte Festsaal, der bis 1989 der Sowjetarmee noch zur Körperertüchtigung diente und entsprechend mit motivierenden olympischen Fresken geschmückt wurde, geriet unter Kapinos' ordnender Hand nicht zur übermächtigen Kulisse (wie unlängst bei Ilja Kabakows „Boot meines Lebens“), sondern bringt seine Atmosphäre und Transparenz ein. An seiner Fassade, einem trutzigen Beispiel autoritärer Tempelarchitektur, hat die in Berlin lebende Italienerin Monica Bonvicini einen Eingriff vorgenommen. Im vielerprobten (an Eigenheimen oder den Häuserfronten der Leipziger Straße) Muster „Deutsche Deckung“ verkleiden von Bonvicini ausgesuchte Eternitplatten Teile der Eingangssäulen. Die Firma „Eternit“, 1989 kurz vor dem Konkurs, wurde von dem heftigen Verschönerungs- und Vereinheitlichungsbedarf der Nachwende wieder emporgetragen. Bonvicini reizt die dubiose Ästhetik des Pseudoschiefers auf verlebten Fassaden, deren Geschichte einfach zugedeckt wird.

Nicht nur mit dem Titel seiner Arbeit erinnert sich das Künstlerpaar (e.) Twin Gabriel an Beschäftigungstherapien ostdeutscher Jugendverbände, die anscheinend ernsthaft an Forschungsunternehmungen arbeiteten und sich mit den Resultaten auf der „Messe der Meister von morgen“ vorstellten. Horizontal in Augenhöhe ragt ein völlig seiner Etikettierung entblößter Deoroller in den Raum hinein. Sacht dreht sich seine Kugel von einem winzigen Motor getrieben und glänzt feucht. Von Zeit zu Zeit wird ein rosa Tropfen abgesondert, der auf den Betonboden fällt.

Daß Arbeit als Alibi doch mehr als Sinnlosigkeit gebiert, beweist Olav Westphalen, der den Streichholzburgen emsiger Feierabendkünstler eine ganze Indianerausrüstung mit Federschmuck, Mokassins und Friedenspfeife hinzugefügt hat. Unterlegt werden diese Exponate noch mit Bildern aus dem Leben der Freizeitindianer aus der nahen Karl-May-Stadt Radebeul, die sich mit Seele und ganzer Familie dem getreuen Nachleben indianischer Bräuche verschrieben haben. Westphalen, der einige Jahre in Kalifornien gelebt hat, zeigt sich restlos fasziniert von deren akribischem Tun und nennt sie „eine verrückte Sorte von drag queens“. All diese zeitraubende Tätigkeit stellt, gesamtgesellschaftlich betrachtet, natürlich den Sinn einer gewerkschaftlichen Vollbeschäftigung in Frage, und so hat Torsten Haake-Brandt entdeckt, daß hier der Weg bereits das Ziel ist: Auf der Suche nach einer Beschäftigung erhob er die Bewerbung zur Kunstform.

Von 1991 bis 1994 auf Jobsuche, bewarb er sich vom Chefchirurgen und Oberbuchhalter bis hin zum Schulrat in Pankow für jede erdenkliche Arbeit und lernte dabei, daß er als Künstler stets entweder über- oder unterqualifiziert war. Nur nie passend. Die alte Legende vom Künstler als Outlaw erzählt er ganz zeitgenössisch auf einer Stellwand, die auf der Stirnseite das Mosaik der Ablehnungsschreiben, auf den anderen Seiten hingegen kilometerlange Kugelschreiberkringel der Langeweile trägt. Die sind entstanden, als Haake-Brandt schließlich eine Anstellung als Wachmann im Hamburger Intercontinental bekam.

„All work no play“, bis 26.11., im Festspielhaus in Hellerau/Dresden