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Die Quadratur des Korridors

Die Kontrolle über den Posavina-Korridor, der Serbien mit dem serbischen Gebiet um Banja Luka verbindet, steht im Zentrum der Dayton-Gespräche / Kroatische Winkelzüge  ■ Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) – Der Blick von den Anhöhen auf die Ebene der Sava war früher eine Attraktion. Im Frühling genossen Besucher das Blumenmeer, das sich hier in der sogenannten Posavina bis zum Horizont erstreckte. Auch heute richten sich viele Augen auf diese Ebene – es sind jedoch Augen von Soldaten der bosnischen und der kroatischen Armee, die jede Bewegung dort zu registrieren suchen. Denn der Posavina-Korridor ist für die serbischen Nationalisten eine lebenswichtige Verbindungsstraße von Serbien in das serbisch gehaltene Gebiet in Westbosnien um Banja Luka.

In der Stadt Brčko ist dieser Korridor sehr schmal. Die westlichen Vororte sind in der Hand der bosnischen Armee, die östlich des Sava-Flusses gelegenen Gebiete in der Hand der Kroaten. Nur vier Kilometer breit ist hier der dazwischenliegende serbische Korridor, in dem die Verbindungsstraße verläuft. Wer auf der Straße fährt, wird von den bosnischen und kroatischen Posten genau beobachtet. Und oftmals wird geschossen. Vor allem Militärfahrzeuge müssen dieses Nadelöhr zügig passieren. Meist fahren sie nachts.

„Wir wollen den Korridor verbreitern“, ist eine der wichtigsten serbischen Forderungen bei den Verhandlungen in Dayton. Die Straße soll durch Verhandlungen sicherer werden. Militärisch ist dies nämlich nicht zu machen. Die letzten großen Offensiven im Frühjahr 1995 scheiterten: Bosnier und Kroaten konnten trotz des Einsatzes serbischer Truppen aus Belgrad und Novi Sad nicht aus ihren Stellungen vertrieben werden.

„Wir werden hier kämpfen, bis wir Brčko befreit haben.“ Der bosnische Soldat, der dies Anfang September sagte, stammt ursprünglich aus Brčko. Er wurde im Mai 1992 aus der Stadt vertrieben, als serbische Freischärler zusammen mit der Jugoslawischen Volksarmee von der weiter südöstlich gelegenen Stadt Bijeljina aus vorrückten. Bei den Angriffen gingen serbische Freischärler sofort daran, die mehrheitlich kroatische und muslimische Bevölkerung – mehr als 40.000 Menschen – zu vertreiben, zu verhaften und in Konzentrationslager zu stecken oder zu töten. Die Verteidiger verfügten nur über wenige Waffen. So gelang es den serbischen Truppen, den größten Teil der Stadt Brčko zu besetzen.

Seither gibt es den Posavina-Korridor. Und seither ist das von der bosnischen Regierung gehaltene Zentralbosnien um Tuzla von Kroatien abgetrennt. Eigentlich nur drei Autostunden von Zagreb entfernt, sind Menschen und Güter aus Tuzla nun mehr als 20 Stunden in die kroatische Hauptstadt unterwegs. Das ist für die Industriestadt Tuzla ein unerträglicher Zustand.

Doch nicht alle Bosnier setzen auf die militärische Lösung. „Ich habe der UN vorgeschlagen, den Korridor mit UNO-Soldaten zu sichern“, erklärte schon im Herbst 1993 der Bürgermeister von Tuzla, Selim Bešlagić. Unter UN-Kontrolle hätte dann der serbische wie auch der kroatisch-bosnische Verkehr abgewickelt werden können. Und auch die humanitären Konvois hätten dann sicher in die damaligen Hungergebiete Zentralbosniens gelangen können. Diese Lösung wurde jedoch nicht durchgesetzt. Schon der damalige EU- Verhandler Lord Owen war mit seinem Plan von 1993, der eine ähnliche Lösung vorsah, am serbischen Widerstand gescheitert. Die serbischen Nationalisten wollten damals noch Großserbien errichten. Wäre der Posavina-Korridor, der Serbien mit dem Gebiet um Banja Luka verbindet, von anderen Mächten kontrolliert – und sei es nur die UNO – wäre das Projekt Großserbien gescheitert.

Unter dem Druck der serbischen Seite ließ auch die internationale Kontaktgruppe die in ihrem ersten Friedensplan vorgesehene internationale Kontrolle des Korridors fallen. Im zweiten Plan blieb der Posavina-Korridor fest in serbischer Hand. Und dieser Plan war damit akzeptabel für den serbischen Präsidenten Milošević. Nur der bosnische Serbenführer Karadžić opponierte nach wie vor.

Während die bosnische Regierung immer wieder versuchte, die Frage des Korridors wieder in die Verhandlungen einzubeziehen, schien die kroatische Führung nicht besonders interessiert. 1992 schon hatte Kroatiens Präsident Tudjman den Kampf um den Korridor aufgegeben. Als es der bosnischen Armee im Oktober 1992 gelungen war, eine Verbindnung zu den Kroaten in Orasje herzustellen, einem kroatisch kontrollierten Gebietszipfel auf bosnischem Gebiet westlich der Sava, lehnte Tudjman eine gemeinsame Aktion ab und pfiff seine Truppen zurück. Ohne die Unterstützung der Kroaten konnten die Bosnier das damals gewonnene Terrain nicht halten. Die Chance, einen Gegenkorridor von Kroatien nach Zentralbosnien zu errichten, war vertan.

Viele Gerüchte begleiten diese Haltung Tudjmans. War der Rückzug der kroatischen Truppen Teil eines geheimen Abkommens mit Milošević zur Aufteilung Bosnien-Herzegowinas? Vieles spricht dafür. Zudem kontrollieren seine Schützlinge in der Westherzegowina den Zugang von der kroatischen Küste nach Bosnien. Bis heute kassieren sie Zölle und andere Abgaben von den Bosniern. Die serbische Kontrolle über den Posavina-Korridor hilft den kroatischen Nationalisten, Restbosnien auszuplündern.

Die angeblich in Dayton erzielte Einigung zwischen Tudjman und Milošević, den Posavina-Korridor zu verbreitern, trifft auch die kroatische Seite am Nerv. Der Einigung zufolge müßte das kroatische Gebiet um Orasje jetzt an die Serben abgetreten werden. Aus Protest dagegen ist nun der Präsident der kroatisch-bosnischen Föderation, Krešimir Zubak, zurückgetreten.

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