■ Das Portrait
: Beatles forever

Seit vier Uhr morgens wird zurückgebeatlet. Exakt zu dem Zeitpunkt am Montag nämlich wurde das großangekündigte „neue“ Beatles- Stück „Free as a Bird“ aus dem Safe der Londoner Abbey-Road-Studios geholt und unter Sicherheitsvorkehrungen, wie sie ansonsten für Staatsgäste getroffen werden, an die Radiostationen verteilt. Seit gestern früh nun ist das Teil als Leadsong der „Anthology“-CD zu erwerben: 5 Millionen Stück sollen noch in der Nacht zum Dienstag auf geheimen Kanälen in die Läden manövriert worden sein, wo der Endverbraucher jetzt entscheiden soll: Gibt es ein Menschenrecht auf ewiges Beatletum? Oder soll man's mit Mahnern wie DJ Clive Warren von der BBC halten: „Die Spannung ist so hoch, daß nichts wirklich die Erwartungen erfüllen kann“? Daß ein Toter singt, ist – digitale Bearbeitung hin oder her – jedenfalls weder wegzudenken noch wegzuhören. Dünn und brüchig klingt das Stimmchen, das sich nach einer einleitenden Harrison-typischen Aktion an der Slide-Gitarre erhebt. Beatles as usual, etwas lendenlahm, sicher ein eher schwacher Song. Und dann die Chöre: wie vorausgesagt Beatles-Sound der späten Sechziger, von Produzent Jeff Lynne, ohnehin ein Spezialist für den originalgetreuen Nachbau von Soundscapes, ebenso perfekt wie herzlos rekonstruiert. Sogar eine sogenannte „Bridge“, von Lennon leichtfertig weggelassen, wurde hinzugefügt: „It always meant so much“Foto: AP

Auf Johns etwas kindische Hommage an einen freifliegenden Vogel folgt nun McCartneys nostalgische Frage: „How did we lose the touch / It always meant so much / Do we really live without each other?“

Wer Beatles-Songs immer schon nach geheimen Botschaften abgehört hat, kann hier natürlich viel Böses entziffern (Lennon vogelfrei?) – so wie man im Arrangement immer ein Kassenklingeln herauszuhorchen meint. Hilft aber nix. Surrealismus, lautet eine berühmte Definition, sei die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Seziertisch. Im Falle von „Free as a Bird“ hat sich bekanntlich ein Lennon-Fragment mit einem nachträglichen Arrangement im Studio getroffen, um mit etwas Hilfe von Paul McCartney viel, viel Geld zu zeugen. Man tut also am besten daran, „Free as a Bird“ als künstlerische Aktion im Sinne des kapitalistischen Surrealismus zu verstehen. Schon aus Gründen der Prophylaxe: Auf dem Sektor wird sicher noch einiges auf uns zukommen. Thomas Groß