Autoritätsfixiertes Verhalten

■ betr.: „Mit Oskar aus der Müll tonne“ u.a., taz vom 17. 11. 95

[...] Es ist bedenklich, daß sich 321 SozialdemokratInnen binnen weniger Stunden dazu entschließen, ihren „alten“ ohne größere Diskussion gegen einen neuen Vorsitzenden auszutauschen. Daß Rudolf Scharping umgehend recycelt wurde – und sich dazu bereit fand –, ist für die Partei nur oberflächlich betrachtet ehrenvoll. [...]

Die SozialdemokratInnen hätten sich bei der Wahl ihres alten nur der Worte ihres neuen Vorsitzenden um 1990 erinnern müssen. Das deutsche Vogel-Strauß- und/ oder autoritätsfixierte Verhalten fand damals wie heute seine sozialdemokratische Variante.

Es ist falsch – und wirft ein bezeichnendes Bild auf das Demokratieverständnis weiter Teile der bundesrepublikanischen Medien (leider auch einiger Stimmen der taz) –, der momentanen Entwicklung der Sozialdemokratie und ihres Vorsitzenden den Beifall zu zollen, den sie seit knapp 24 Stunden einzig aus der Wahl eines (sicherlich weitaus medienwirksamer agierenden) Oskar Lafontaine bezieht. Hier erliegen auch erfahrene Journalisten und Journalistinnen der Faszination eines intelligenten, geschickten und machtbewußten – wie machtverliebten – Politikers, aber auch Choreographen.

Die Wahl eines Rudolf Scharping und eines Oskar Lafontaine war nicht Ausdruck eines selbstbewußten und politisch bestimmten Verhaltens, sondern nur das klammheimliche und im Grunde beschämende Eingeständnis einer schon lange währenden, weitgehenden Orientierungslosigkeit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Wer „... sich warm anziehen“ (Oskar Lafontaine am heutigen letzten Tag des Parteitages) muß, wird die Zukunft zeigen. Doch vonnöten ist neben einem offensiven, diskussions- und widerspruchsfreudigen Vorsitzenden eine entsprechende Partei. Davon jedoch sind die Basis der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und die sogenannten EntscheidungsträgerInnen weit entfernt. H. Schnaars