Subventionierte Desinformation

■ Von der Bundesregierung geförderte Broschüre ehrt einen NS-Rassebiologen

Nürnberg (taz) – Die deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg als Befreier der Rußlanddeutschen und die Umsiedlungspolitik der Nationalsozialisten im Rahmen des Generalplans Ost als Rettung der deutschrussischen Minderheit – mit dieser Geschichtsklitterung hat die Bundesregierung keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil. 242.488 Mark ist dem Bundesinnenministerium die Förderung der Broschüre „Volk auf dem Weg – Deutsche in Rußland und in der GUS 1763-1993“ wert. Das 1993 herausgegebene Heft ist zudem einem ehemaligen NS-Rassebiologen gewidmet.

„Es ist ein unglaublicher Skandal, daß Bundesmittel aus dem Haushaltstitel ,Informationspolitische Maßnahmen‘ für derartige Desinformationen zur Verfügung gestellt werden“, bewertet die grüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach den Vorgang. Auf ihre Anfrage bei der Bundesregierung erhielt sie zur Antwort, daß das Innenministerium 15.500 Exemplare der vom „Kulturrat der Deutschen aus Rußland e.V.“ und der „Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland e.V.“ herausgegebenen Broschüre geordert hat. 13.300 Stück sind bereits verbreitet, 2.200 liegen noch auf Lager. Die 40seitige Hochglanzbroschüre ist Karl Stumpp für dessen „unvergeßliche Verdienste um die Rußlanddeutschen in Dankbarkeit und Verehrung“ gewidmet und beruht auch auf den Manuskripten des 1982 verstorbenen ehemaligen NS-Rassebiologen.

Stumpp, Mitglied der NSDAP und Funktionär des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“, veröffentlichte unter anderem „Die Volksbiologie der Rußlanddeutschen“. Er war später als Leiter des „Kommandos Dr. Stumpp“ und in den „Sippenämtern“ Shitomir und Dnjepropetrowsk an der Selektion beteiligt. 1958 saß Stumpp bereits wieder im Kuratorium des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“, der in den letzten Jahren wegen seiner dubiosen Förderungspolitik für rußlanddeutsche Projekte ins Gerede kam. In der Broschüre „Volk und Weg“ wird detailliert beschrieben, daß die Rußlanddeutschen vor dem deutsch-sowjetischen Krieg der „Russifizierung hilflos ausgesetzt“ gewesen seien. Dies habe sich mit dem deutschen Einmarsch geändert. Die von den Nazis organisierte Umsiedlung der Schwarzmeerdeutschen ins Wartheland (Polen) und von dort teilweise nach Deutschland wird verklärt.

Buntenbach fordert die Bundesregierung auf, alle noch verbliebenen Exemplare der Broschüre, die sich laut Vorwort insbesondere an Spätaussiedler und -heimkehrer richtet, aus dem Verkehr zu ziehen. Die Bundesregierung sieht jedoch keinen Handlungsbedarf. Bernd Siegler