Patent statt Parlament

Die Krebsmaus wird in einer Europabehörde diskutiert, die die moralischen Aspekte der Gentechnik am liebsten ausklammern würde  ■ Aus München Felix Berth

Wenn im riesigen Saal 108 des Europäischen Patentamtes verhandelt wird, geht es meist um viel Geld und selten um Moral. Kürzlich zum Beispiel verhandelte die Beschwerdekammer vor über 100 Beteiligten das Patent für ein revolutionäres Schleifpapier. Dessen Herstellungsverfahren versprach dem Entwickler Millionengewinne. Die Konkurrenten bestritten deshalb, daß das Schmirgelpapier überhaupt eine Neuerfindung sei. Ähnlich war es bei den legendären Streitfällen um Reifenprofile zwischen den Firmen Pirelli und Continental, von denen man sich im Patentamt gerne erzählt.

Doch mit den 17 Gruppen, die gegen die „Krebsmaus“ klagen, hat sich nun eine ganz andere Diskussion in den Saal 108 eingeschlichen. Ist das Patent auf eine Maus – an der Harvard University entwickelt und vom Medizinkonzern DuPont finanziert – moralisch akzeptabel? Darf man Tiere durch Gentechnik so verändern, daß sie extrem leicht an Krebs erkranken?

Den Patentbeamten fällt diese Debatte nicht gerade leicht, wie ihre wechselhaften Entscheidungen der letzten Jahre gezeigt haben. Da wurde der erste Patentantrag auf die „Onco Mouse“ noch abgelehnt, weil man ein Tier nicht patentieren könne, hieß es im Urteil von 1989. Ein Jahr später urteilte die gleiche Behörde, das Patent sei akzeptiert – und seitdem mühen sich die Prüfer, trotz wachsenden Widerstands an dieser Linie von 1990 festzuhalten.

Der Sprecher des Amtes, Godehard Nowak, würde das Thema lieber den Politikern überlassen, sagt er: „Wir sind doch kein TÜV, der bestimmt, ob man eine Erfindung nutzen soll.“ Aufgabe des Patentamts sei, Erfindungen zu erfassen, nicht, sie zu bewerten.

Auch die Rechtslage ist in Sachen Ethik kaum hilfreich. So darf eine Erfindung „nicht gegen die guten Sitten“ verstoßen, heißt es im Europäischen Patentabkommen von 1973. Allerdings hat das Patentabkommen auch eine unangenehm deutliche Passage. Artikel 53b stellt nämlich lakonisch fest: „Europäische Patente werden nicht erteilt für Pflanzensorten oder Tierarten.“ Was aber ist die Krebsmaus anderes als eine „Tierart“, fragen die Einwender im Saal 108 immer wieder.

Der Patentanwalt der Harvard University, Richard Bizley, antwortet, der Passus 53b sei „etwas obskur abgefaßt“. Deshalb müsse man seine „genaue Bedeutung“ finden. Also macht er sich auf die Suche und landet nach 40 Minuten linguistischem Feinschliff bei der These, daß „Tierart“ ein „eng gefaßter Begriff“ sei. Weil sein Auftraggeber das Patent jedoch nicht für die Krebsmaus allein beansprucht, sondern für alle Säugetiere, falle das Patent nicht unter Artikel 53b.

Ein sprachlicher Drahtseilakt erster Güte. Demnach diskutiert man im Saal 108 nicht über die Krebsmaus, sondern auch über Krebswale oder Krebsaffen – nur hat das noch keiner so recht bemerkt. Fast könnte man Mitleid mit Bizley bekommen, wenn sich nach seinem rhetorischen Salto der Einwender Wolfgang Bauer meldet und die These vom verbotenen Maus-Patent und dem erlaubten Säugetier-Patent lächerlich macht: „Genausogut könnte man sagen: Bier, Wein und Whisky sind verboten, aber alkoholische Getränke sind erlaubt.“

Die drei Richter nehmen solche Pointen ungerührt zur Kenntnis und vermeiden jede Zuspitzung während des Verfahrens. Gelegentlich schieben sie ein paar dürre Erklärungen ein und deuten an, daß die Patentgegner kaum Chancen haben. Bis Donnerstag nachmittag jedenfalls wurden alle Einwände abgelehnt. Selbst die Gegner rechnen bereits damit, in die nächste Instanz zu ziehen – übrigens wieder eine Kammer des Europäischen Patentamts.

So wird sich das Szenario der jetzigen Verhandlung wohl wiederholen. Wieder wird dann ein paar Tage lang öffentlich über die Krebsmaus und die Gentechnik diskutiert. Allerdings wieder am falschen Ort, wie eine Einwenderin einmal unter großem Beifall sagt: „Solche zentralen Themen sind eigentlich ein Fall für ein gewähltes Parlament.“

Nur interessieren sich Bundestag und Regierung kaum dafür: „Die halten sich fast vollständig zurück“, sagt Christoph Then von „Kein Patent auf Leben“. Vermutlich dürfte das die bequemste Art der Gentechnik-Förderung sein – man vermeidet politische Diskussionen und lädt die Arbeit bei einer Behörde ab, die den politischen Kern ihrer Entscheidungen nicht sehen kann und will.