Eine Affengemeinheit

■ Die besondere Vorliebe der Gattung Rhesusaffen

Im Hotel Tiger-Den in Indien hat man uns ausdrücklich gewarnt, immer die Türen und Fenster verschlossen zu halten, wenn man das Zimmer verläßt, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick. Diese Vorsichtsmaßnahmen gelten nicht den kriminellen Vertretern der Spezies Mensch, sondern denen der Gattung Rhesusaffen. In ganzen Scharen tollen diese im Hotelgarten herum, klettern auf Balkone und Fensterbretter, ja selbst das Dach scheint fest in ihrer Hand; wer weiß, vielleicht wegen der schönen Aussicht über die Baumwipfel des Sariska-Nationalparks?

Die erste nähere Bekanntschaft mit unseren behaarten Mitbewohnern machen wir beim Abendessen. Ein Äffchen, das sich unbemerkt in den Speisesaal geschlichen hat, springt mitten auf unseren Tisch, stiehlt sich ein Chapati (Fladenbrot) von meinem Teller und verschwindet in Windeseile. Der Vorfall mahnt uns zur Achtsamkeit.

Aber nach zwei Tagen äußerster Vorsicht kommt es dann doch zu einem folgenschweren Fehler. Wir sitzen auf der Terrasse, die Tür ist nur angelehnt. Und da geschieht es und zwar mit einer Affengeschwindigkeit. Noch bevor wir reagieren können, verschwindet der Täter mit seiner Beute auf dem Dach.

Ein mintgrüner Waschbeutel hat die kleptomanischen Instinkte des Tieres gereizt. Ein herbeigerufener Zimmerkellner, aus langjähriger Erfahrung mit einer Affenrute bewaffnet, hilft uns bei der Verfolgungsjagd. Der seiner Meinung nach nutzlosen Stücke des Raubzuges entledigt sich der Affe noch auf dem Dach.

Für kurze Zeit verliert sich dann die Spur des 50 Zentimeter großen Unholdes, bis wir schließlich hinter dem Hotel eine Entdeckung machen, die für das respektlose Verhalten der indischen Primaten seinesgleichen sucht. Der Räuber sitzt auf der Gartenmauer und räkelt sich in den letzten Strahlen der Abendsonne, in der linken Pranke den Beutel und in der rechten einen Taschenspiegel, in dem er voller Erstaunen sein Ebenbild bewundert. Als der Gehetzte seine herannahenden Verfolger bemerkt, versucht er uns noch mit dem Spiegel zu blenden und verschwindet dann, fauchend und mit zornigem Blick, in den nahegelegenen Büschen hinter der Mauer.

Der Erfolg der restlichen Suche hält sich arg in Grenzen. Außer einem aufgerissenen, aber unbenützten Erfrischungstuch und dem inzwischen restlos demolierten Spiegel finden wir nichts. Ob sich der Affe nun die Läuse mit der Haarbürste aus dem Pelz kämmt, bleibt ungewiß. Ob er etwas mit der Zahnbürste anzufangen weiß, wissen wir nicht, und wenn ja, ob er die weggeworfene Zahncreme vermißt, werden wir nie erfahren. Falls Ihnen in Indien mal eine Tube Zahnpasta von einem Affen gestohlen wird, könnte das die Antwort auf die letzte Frage sein. Jürgen Krause