Stadt treibt Rentner unter Weserbrücke

■ Nach 40 Jahren in der Parzelle obdachlos: Gewerbegebiet Flughafen schafft rechtliche Probleme

Der Aufschwung im Gewerbegebiet am Flughafen hat einen hohen Preis: Fast 40 Jahre hat Wilhelm Steinwedel am Wattweg gelebt, dann kam im Mai 1995 der Abrißbagger. Der Schutt des Parzellenhäuschens begrub auch sämtliche Habseligkeiten des Mannes. Steinwedel selbst konnte nur mit den Sachen auf seinem Leib und seinem Fahrrad davonkommen.

Den Mitarbeitern der Räumungsfirma habe man nicht zumuten können, die Kleidungsstücke und Möbel von Wilhelm Steinwedel auch nur anzufassen, so rechtfertigte der Gerichtsvollzieher den sofortigen Baggereinsatz. Die Sachen hätten gestunken und seien völlig verdreckt gewesen. „Herr Steinwedel ist unser Sorgenkind“, sagt dazu Susanne Zervas, Sozialarbeiterin des Betreungsbüros Gerking. Vor drei Jahren hat sie das Amtsgericht als Vermögenssorgerin für Steinwedel bestellt.

Bereits zuvor war der 1922 geborene Mann nicht mehr in der Lage, alltägliche geschäftliche Dinge selbständig zu erledigen. Seit Jahren helfen ihm SozialarbeiterInnen dabei. Für sich selbst konnte Wilhelm Steinwedel immer sorgen, die spärliche Rente von 980 Mark im Monat reichte ihm allerdings nur für das Nötigste. Mit dem Fahrrad fuhr er kreuz und quer durch Bremen, sammelte Glas und Altmetall. Auf seinem gepachteten Parzellengrundstück türmten sich nach Augenzeugenberichten die unterschiedlichsten Sachen – die meisten waren entsetzt. „Das muß man doch dem Menschen überlassen, der da lebt“, sagt Zervas.

Das sieht die Flughafen-Gewerbegebiet Entwicklungsgesellschaft (FGE) anders. Steinwedel und die rund 30 weiteren BewohnerInnen des Parzellengebietes standen den ehrgeizigen Plänen der Stadt Bremen entgegen. Im Herbst 1994 teilte die stadteigene FGE ihnen mit, daß sie ab März 1995 das Gebiet verlassen müßten. Ob die FGE auch Steinwedel informierte, läßt sich nur vermuten. Der Mann gilt als geistig verwirrt; er kann bis heute nicht glauben, daß sein Haus zerstört ist.

Die städtischen Wirtschaftsförderer der FGE kannten das Betreuungsbüro. „Sie haben mich angerufen und mir von den Räumungsplänen erzählt; und sie wollten sich wieder melden“, sagt die Sozialarbeiterin. Das haben sie bislang nicht getan. Zervas habe die FGE zudem über Steinwedel aufgeklärt, gar über ein Ersatzgelände für ihn gesprochen.

Laut Kündigung hätte Wilhelm Steinwedel die Parzelle zum 31.12.94 verlassen müssen. Damit rechnete die FGE jedoch zu keinem Zeitpunkt und hatte bereits am 2. Januar 1995 das Versäumnisurteil in der Tasche. Auch darüber informierte sie die SozialarbeiterInnen nicht. „Die haben ja nicht einmal einen amtlichen Betreuerausweis vorgelegt“, sagt Axel Hattendorff, Anwalt der FGE. Für seinen Klienten versuchte er gestern vor Gericht, eine Klage von Steinwedel abzuwehren. Das Urteil über die Rechtmäßigkeit der Kündigung wird in drei Wochen ergehen.

Seit Mai hat Wilhelm Steinwedel unter einer Weserbrücke oder in der Lloyd-Passage gelebt. Da er laut Amt für soziale Dienste „nicht wohnfähig“ ist, hat er bislang noch keine Wohnung. „Aufgrund der Wohnunfähigkeit wäre die Bereitstellung eines Wohnwagens auf einem geeigneten Grundstück eine situationsgerechte Lösung“, meinen seine BetreuerInnen. Er lebt seit einer Woche in einem auf Obdachlose spezialisierten Altenwohnheim in Oyten. Wie lange er es dort aushält, ist ungewiß. Zervas: „Sowie er sein Fahrrad hat, ist Herr Steinwedel wieder am Wattweg“. ufo