Mit Fanatismus nichts am Hut

Rund 50 Kinder nehmen in der Kreuzberger Ansar-Schule am islamischen Religionsunterricht teil. Die Zahl der Koranschulen ist unbekannt  ■ Von Julia Gerlach

„,Dschahil‘, was heißt ,dschahil‘?“ Scheich Mohammed guckt sich in seiner Klasse um. „Ahmed, was meinst du?“ Der kleine blonde Junge wird auf seinem Stuhl immer kleiner und zieht die Schultern hoch. Er weiß es nicht. Der stattliche Scheich im blauen Einreiher streicht sich durch seinen Bart. Auf der anderen Seite der Klasse raschelt es. Drei Mädchen recken emsig die Arme. Einem rutscht dabei das weiße Kopftuch über die Stirn. Sie zupft es wieder zurecht. „,Dschahil‘ heißt ,eingebildet‘“, platzt sie heraus, als Scheich Mohammed sie endlich drannimmt.

Rund 50 muslimische Kinder kommen jeden Nachmittag für zwei Stunden in die Ansar-Schule in der Skalitzer Straße in Kreuzberg. Hier lernen sie von Scheich Mohammed und seinen drei Mitarbeitern die Grundlagen der arabischen Sprache, ein bißchen Religion und islamische Geschichte.

Die Schule ist in einer großen, verwinkelten Wohnung im Vorderhaus eines alten Fabrikgebäudes untergebracht. Der Boden des langen Ganges ist mit dunkelrotem Teppich ausgelegt, über den schon viele Füße gegangen sind. Poster mit prächtigen goldgrünen Kalligraphien und Bilder von der Kaaba in Mekka verdecken die rissige Tapete. Leicht verblichene Fototapeten mit Urwald- und Strandlandschaften konkurrieren mit der Trostlosigkeit der verwohnten Räume. An einer Wand hängt ein Sammelsurium von kopierten Zetteln. Hier stellt sich die Ansar-Schule vor: Ziel der Einrichtung sei „die Verbindung der Kinder arabischer Immigranten in Berlin mit ihrer Sprache, Kultur und Tradition“. Die Schule richte sich an eine Generation, die mit Extremismus und Fanatismus nichts zu tun haben wolle, ist an anderer Stelle zu lesen.

Scheich Mohammed El-Khaled hat die Schule 1990 gegründet. Der gebürtige Syrer ist islamischer Rechtsgelehrter und hat in Saudi- Arabien studiert. Stolz zeigt er eine Urkunde: Er ist einer der wenigen staatlich anerkannten Berater für islamische Rechtsangelegenheiten in Berlin. Häufig wenden sich Berliner Muslime mit ihren Problemen an den würdevollen älteren Herrn. Er setzt Eheverträge auf, kümmert sich um Erbschaftsangelegenheiten und spricht Scheidungen nach islamischem Recht aus. Manchmal vermittelt er auch zwischen den Ehepartnern oder zwischen Eltern und Kindern. Er sehe es als seine Aufgabe, den Menschen zu helfen, ihre Religion und das Leben in Deutschland miteinander zu vereinbaren, erklärt Scheich Mohammed.

Wie viele Koran- und Religionsschulen es außer der Ansar-Schule in Berlin gibt und wie viele Kinder an deren Unterricht teilnehmen, kann nur geschätzt werden. Weder die zuständigen Senatsstellen noch die Vertreter islamischer Organisationen haben einen Überblick über die Vielfalt. Neben der staatlich anerkannten islamischen Grundschule in der Boppstraße in Kreuzberg findet in den meisten der 49 Moscheen und Gebetsräume Nachmittagsunterricht für die Kinder der Gemeindemitglieder statt.

Scheich Mohammed kritisiert, daß in den Moscheen der Religionsunterricht für Kinder meist nur im Lesen des Korans bestehe. Er wolle seinen Schülern und Schülerinnen auch Wissen über die islamische Kultur und vor allem ethische und moralische Grundwerte mit auf den Weg geben. „Mein Unterricht soll so ähnlich sein wie die evangelischen Religionsstunden in der deutschen Schule“, sagt er. Die Kinder, die zu ihm kommen, sind zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt. Fast alle kommen aus binationalen Familien und haben meist einen syrischen, libanesischen oder palästinensischen Vater und eine deutsche Mutter. „Die wenigsten von ihnen sprechen zu Hause arabisch“, sagt Scheich Mohammed. Zehn Mark zahlen die Kinder monatlich für den Unterricht. Das sind umgerechnet 50 Pfennig für jeden der zweistündigen Schultage. Der Rest des Geldes kommt aus Saudi-Arabien. „Wir gehören aber keiner Partei oder Organisation an“, sagt der Scheich. Auch mit der arabischsprachigen Omar- Moschee, die im gleichen Haus untergebracht ist, habe er nichts zu tun.

Zwei Mädchen stecken die Köpfe zusammen und unterhalten sich tuschelnd. Ein anderes malt Blümchen in sein Schreibheft. Rechts im Klassenzimmer sitzen die Mädchen; links ist die Seite der Jungen. An der Decke flimmert eine Neonröhre. Nur wenig Licht fällt durch die verwaschenen Gardinen von draußen herein. Die U-Bahn rattert am Fenster vorbei. Die Bleistifte der Kinder vibrieren auf den grünen Schultischen. „Ich komme gerne hierher“, sagt einer der älteren Jungen. Scheich Mohammed wiederholt den Unterrichtsstoff der vergangenen Woche. „Wer war Abraham?“ fragt er einen Jungen in der zweiten Reihe. Stockend fängt der an zu erzählen, bringt einiges durcheinander. Dann kommt Raba herein. Sie muß nur noch schnell ihre Haare unter dem weißen Tuch verstecken, dann kann sie einspringen und die Geschichte von Abraham zu Ende erzählen.

Kaum eines der Mädchen trage draußen ein Kopftuch. Hier aber sei es wie in einer arabischen Schule, da würden die meisten das Tuch umbinden, erklärt Scheich Mohammed leise, während die Kinder die arabischen Wörter von der Tafel abschreiben. Gute und schlechte menschliche Eigenschaften sind da aufgelistet. Gemeinsam suchen sie dann für jedes Wort die deutsche Übersetzung. „Meine Kinder sprechen besser Deutsch als ich“, meint der Scheich. Er versucht ihnen die Begriffe zu erklären: „Ein Mensch, der ,dschahil‘ ist, könnte wissen, aber er hat nicht gelernt.“ „Eingebildet“ ist nicht die richtige Übersetzung. Nach kurzer Diskussion einigen sie sich erst mal auf „ungebildet“ als treffenderes deutsches Wort. Geschafft, der Scheich ist zufrieden, die Kinder auch. „Dschahil“ wird in die Spalte mit den schlechten Eigenschaften eingeordnet.