Eine Geste für Clinton

■ Major-Bruton-Vorschlag für Friedensprozeß in Nordirland

Durchbruch“ – das war in Nordirland das meistgenannte Wort in der Nacht zu Mittwoch. Am abend hatten sich der britische Premierminister John Major und sein irischer Amtskollege John Bruton auf eine „doppelgleisige Initiative“ geeinigt, um den festgefahrenen nordirischen Friedensprozeß wieder in Gang zu bringen. Das hatte US-Präsident Bill Clinton vor seiner Reise nach Großbritannien und Irland verlangt. Wenige Stunden vor seinem Eintreffen in London stellten die beiden Regierungschefs am Dienstag kurz vor Mitternacht ihren Plan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in der Downing Street vor.

Demnach soll eine internationale Kommission unter Leitung des früheren US-Senators George Mitchell umgehend mit der Untersuchung beginnen, wie die Waffen der paramilitärischen Gruppen am besten aus dem Verkehr gezogen werden können. Man erwartet von der Kommission, daß sie „bei den relevanten Parteien deren Analyse der Situation“ einholt. Gleichzeitig wollen die Regierungen „intensive vorbereitende Gespräche mit den einzelnen Parteien“ führen, wobei die Tagesordnung nicht festgelegt sei. Außerdem will man erwägen, den Vorschlag der nordirischen Unionisten für eine gewählte Versammlung mit begrenzten Befugnissen aufzugreifen. Dieser Punkt löst bei der katholischen Minderheit ungute Erinnerungen aus, hat doch ein solches Regionalparlament bis in die siebziger Jahre hinein rücksichtslos die Interessen der protestantisch-unionistischen Mehrheit durchgesetzt.

Mitte Januar soll die Mitchell- Kommission dann einen Zwischenbericht vorlegen. Wie es danach weitergeht, steht in den Sternen. Major und Bruton haben sich „das feste Ziel“ gesetzt, Ende Februar mit Allparteiengesprächen zu beginnen. Verbindlich ist der Termin allerdings nicht – ebensowenig wie der Zwischenbericht der Kommission, der nur empfehlenden Charakter hat. Die britische Regierung hat deutlich gemacht, daß Mitchell an der britischen Forderung nach Herausgabe zumindest einiger IRA-Waffen nicht rütteln darf. „Wir werden die Kommission nicht damit beauftragen, unsere Position in Frage zu stellen“, so Majors verschlüsselte Warnung. „Niemand muß hier irgendwelche Prinzipien aufgeben“, fügte er hinzu. Bruton pflichtete ihm darin bei: „Ich verlange nicht vom Premierminister, daß er seine Meinung ändert, und er verlangt das von mir auch nicht.“

Wie dann der runde Tisch mit allen nordirischen Parteien zustande kommen soll, konnte gestern niemand konkret sagen. In der Erklärung der beiden Regierungschefs heißt es lediglich, daß „dieses Ziel erreichbar sein sollte, wenn alle Beteiligten kooperieren“. Die Oppositionsparteien im Dubliner Parlament fragten, wo denn die Fortschritte im Vergleich zur Situation vor drei Monaten seien. Damals hatte Bruton das Gipfeltreffen mit Major abgesagt, weil die Differenzen zu groß waren.

Seitdem ist der Friedensprozeß immer tiefer in die Krise geschlittert. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams vom politischen Flügel der IRA malte wiederholt ein düsteres Szenario an die Wand. Am vergangenen Freitag teilte die IRA ihren Mitgliedern mit, sich auf eine „Rückkehr zum Krieg“ vorzubereiten, falls London und Dublin keinen Weg aus der Sackgasse fänden. Gestern gab es eine vorsichtige Stellungnahme des Sinn-Féin- Vorsitzenden, Mitchel McLoughlin, der erklärte, daß man den Major-Bruton-Vorschlag „genau prüfen“ werde.

Die Unionisten reagierten eher ablehnend. „Die beiden Regierungen haben sich gegenseitig übers Ohr gehauen“, sagte Ken Maginnis von der Ulster Unionist Party, „damit sie eine gemeinsame Erklärung für Clinton veröffentlichen können.“ Er bezeichnete das Ganze als „kaltblütige Übung“, die den Menschen in Nordirland die Illusionen rauben werde. Die extreme Democratic Unionist Party hatte den Friedensprozeß bereits in der vergangenen Woche totgesagt. Jetzt meinte ihr Pressesprecher Sammy Wilson: „Das mitternächtliche Rätsel lautet: Muß die IRA nun ihre Waffen abgeben oder nicht, um zu den Gesprächen zugelassen zu werden?“ Die Chefs der protestantischen paramilitärischen Organisationen begrüßten dagegen die Regierungsinitiative. Es sei das Beste, was man zur Zeit erwarten könne.

Clinton, der heute nach Belfast und Derry reist, lobte die beiden Premierminister gestern nach seinem Gespräch mit Major für den „Mut, den sie bewiesen haben.“ Die Vereinigten Staaten seien stolz darauf, die Friedensstifter in Nordirland, im Nahen Osten, in Bosnien und in der ganzen Welt zu unterstützen, sagte er. „Wer für den Frieden eintritt, hat die USA an seiner Seite.“ Wie der politische Alltag in Nordirland nach Clintons Abreise aussehen wird, ist allerdings höchst ungewiß. Ralf Sotscheck, Dublin

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