Was macht man als nicht ganz so junger, nicht ganz so dummer Rechter, damit Deutschland den Deutschen um die Ohren fliegt? Man erklärt sich für demokratisch. Man trägt teures Tuch, keine Springerstiefel. Man tritt in die Berliner FDP ein oder sympathisiert mit ihr. Und man schreibt in „Focus“. Von Maxim Biller

Fakten, Fakten, Fakten

Was muß man tun, damit Deutschland den Deutschen um die Ohren fliegt? Schwarze aus Bussen werfen, Juden Todesurteile faxen, Türken in ihren Häusern grillen jedenfalls nicht. So was macht man, als junger, dummer Rechter, höchstens zwei, drei Jahre, hinterher sitzt man dann im Knast oder hat endlich doch noch seine Lehrstelle bekommen.

Oder aber man hört ganz von selbst auf, weil die Übermacht von Lichterketten und jüdischen New York Times-Kommentatoren leider mit zwei Promille im Blut und einem Brandbeschleuniger in der arbeitsfaulen Rechten nicht zu brechen war. Und auch, weil Gewalt und aufrechter Haß die rechte Revolution in stramm demokratischen Zeiten nur behindern, statt sie voranzubringen. Doch das hat einem ja keiner gesagt.

Und was macht man als nicht ganz so junger, nicht ganz so dummer, nicht ganz so rechter Rechter, damit Deutschland den Deutschen um die Ohren fliegt? Man geht in Deckung. Man erklärt sich für rechts und demokratisch. Man trägt „Alden“ und Anzüge, bloß keine Springerstiefel. Man bewundert die 68er, die ihre Revolution von der Straße holten, um sie als Marsch durch die Institutionen und Köpfe der Menschen viel erfolgreicher fortzusetzen. Man beschließt, dasselbe zu tun. Man tritt der Berliner FDP bei oder sympathisiert mit ihr. Man unterzeichnet Rainer Zitelmanns Aufruf gegen die Befreiungsfeiern zum 8. Mai. Man schreibt in Focus.

Man schreibt in Focus?! Zuerst, um ehrlich zu sein, habe ich es ja selbst nicht geglaubt. Zuerst dachte ich, daß all die abgefahrenen Ausländergeschichten, die in den letzten Jahren in Focus standen, der Ausdruck eines ganz normalen deutschen Medien-Rassismus-Opportunismus waren.

Und ich fand es auch irgendwie logisch, daß die Focus-Redaktion, die „trotz Mölln und Solingen“ auf das Recht pochte, von der „unentwegt wachsenden Kriminalität bei Ausländern“ (Ausgabe 16/95) reden zu dürfen, ihren Drang nach dem Sortieren von Menschen in Deutsche und Nichtdeutsche damit befriedigte, daß sie den Lesern erklärte, sogar der eingereiste Verbrecher sei ganz anders als unser eigener, weil er „sich nicht auf Logik und hiesige gesellschaftliche Normen verpflichten“ lasse und von der „Mentalität, nichts zuzugeben“ (32/94) geleitet sei.

So betrachtet fand ich es erst recht konsequent, daß ein anderer Artikel über die Kriminalität von Ausländern in der rhetorischen Frage gipfelte: „Wollen die Verfechter der multikulturellen Gesellschaft den Preis nicht nennen?“ (6/94)

Zugegeben, manchmal machen Ausländer ja wirklich Probleme. Vor allem, wenn sie mit Panzern und Wehrmachtsuniformen ausgestattet in ihren Nachbarländern auftauchen. Daß dieses Thema zum 50. Jahrestag des Krieges in Focus nicht wirklich tucholskymäßig abgehandelt wurde, hat bei mir aber auch nicht gerade die Antifa- Alarmglocken läuten lassen.

Na gut, da schrieb einer, Wehrmachtsdeserteure dürften nicht rehabilitiert werden, denn „wer zum Feind überlief, gefährdete das Leben der Kameraden“ (43/95), und ein anderer – der Chef selbst – verbeugte sich in einem verräterischen Paradoxon vor „unseren Vätern und Großvätern, die sich innerhalb der schrecklichen Regeln des Kriegs korrekt verhalten haben“ (20/95).

Aber das war doch die ganz normale deutsche Apologetikhärte, fand ich, ebenso wie die selbstentlastende Bezeichnung „ethnische Säuberung“ für die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa oder der Satz: „Ungezählte Männer und Jungen der Hitlerjugend büßten für ihre Ideale in Kriegsgefangenschaft“ (3/95). Auf jedes Ideal wartet irgendwo die gerechte Antwort, dachte ich, Fall abgehakt.

Dachte ich natürlich nicht. Denn in Wahrheit weiß ich schon lange, daß das alles kein Zufall ist, daß es einen Zusammenhang geben muß zwischen all diesen rassistischen Beleidigungen, soldatischen Ehrbezeugungen, deutschen Aufrechnungen und – dem immer häufigeren Auftauchen der Neuen Rechten auf den Seiten von Focus.

Ihr entkommt man dort nämlich inzwischen kaum noch, sie ist überall, in fast jedem Heft, strategisch-feige versteckt zwischen Sexumfragen, Geldmarktgeschichten und Bonn-Berichten.

Da lobt Ernst Nolte die „Kenntnisse und Argumente“ (36/93) von Schoah-Revisionisten; da werden Anzeigen der Jungen Freiheit abgedruckt (39/95); da heißen liberale Medien prinzipiell „Gesinnungspresse“ (1/95), Jörg Haider aber „der fesche Rechte“ (42/95); da ertönt der glückselige Seufzer, „die Neuen Rechten machen wieder von sich reden“ (14/95); da erklärt Klaus Rainer Röhl den Topos „deutsche Schuld“ für bemitleidenswert lächerlich und beweint für Deutschland den Verlust eines „jeden Zusammengehörigkeitsgefühls“ sowie die angebliche Übermacht eines „links-liberal-antifaschistisch- frauen-schwulen-lesbenfreundlichen-multikulti“-Mainstreams (39/95); da warnt Peter Gauweiler die Deutschen vor „dem Verlust der gemeinsamen Sprache, dem Verlust der kulturellen Identität“ (17/93) und wirft jedem, der es gut findet, daß nicht nur Deutsche in Deutschland leben, in guter alter Dolchstoßlegenden-Manier „Mangel an Solidarität zum eigenen Land“ vor (45/95).

Am eifrigsten engagiert sich aber für die verschwiegen-verschwiemelte Sache der Neuen Rechten der Hausdeutsche von Focus, der den nicht allzu deutschen Namen Michael Klonovsky trägt.

Er ist es, der, wenn er nicht gerade über Ausländerkriminalität deliriert, Nolte, Röhl und die andern in Focus auftreten läßt, indem er sie unterwürfigst befragt oder Vorabdrucken ihrer Bücher kleine affirmative Porträt-Hymnen voranstellt. Und er ist es auch, der beinahe jeden seiner Artikel mit den Namen und Thesen von Rainer Zitelmann oder Botho Strauß spickt.

So versteckt er sich meistens also hinter fremden Zitaten und Anführungszeichen, aber ab und zu rutscht es ihm doch raus.

Dann wettert er gegen „deutschen Nationalmasochismus“ (41/95); er jammert, wer die deutschen „Schuldgefühle instrumentalisiert, steuert die öffentliche Meinung“ (16/95); er faucht wütend: „Bislang hatte die Gegenseite die Definitionsmacht über das, was rechts sein sollte“ (41/95). Und damit das anders wird, übernimmt er die Aufgabe gleich selbst und erklärt, „daß die einzigen für Hitler wirklich gefährlichen Opponenten, die Männer des 20. Juli, rechts von ihm standen“ (41/95).

Uhps, wieder nicht aufgepaßt! Rechts von Hitler, rechter als rechtsradikal, so lautet offenbar also die geheime Parole der Neuen Rechten, und wenn man sie genau analysiert, wird eine kleine hinterfotzige Subtraktion daraus: Faschismus minus Hitler ist guter, ist besserer, ist am allerbesten verkaufbarer Faschismus.

In anderen Worten, der moderne Rechte muß rechter sein als die Nazis, damit ihm keiner mehr den Nazismus vorwerfen und er trotzdem nach weit, weit rechts marschieren kann.

Würde man als Neuer Rechter aber natürlich nicht zugeben. Nicht in der kleinen Klitsche Junge Freiheit, nicht bei der winzigen Berliner FDP, nicht in irgendeinem vergessenen Aufruf. Und schon gar nicht im Millionenblatt Focus. Das heißt, dort eigentlich schon. Aber erst dann, wenn mit seiner Hilfe Deutschland den Deutschen um die Ohren geflogen ist.

Maxim Biller (35) ist in Prag geboren und lebt seit 1970 in Deutschland. Vom Schriftsteller und Kolumnisten gibt es: „Wenn ich einmal reich und tot bin“, Kiepenheuer & Witsch, 1990; „Tempojahre“, dtv, 1991; „Land der Väter und Verräter“, Kiepenheuer & Witsch, 1994.