Mit der Spritze in den Kuhstall

Gegen die Anwendung natürlicher Hormone haben die Experten keine Einwände  ■ Aus Brüssel Anita Idel

„Wenn die bisher für die Tiermast in der EU verbotenen Hormone wieder zugelassen werden, wird auch unsere Arbeit noch komplizierter.“ Der Mediziner Marcel Saugy forscht im renommierten Schweizer Institut Rivier, in Lausanne, an Dopingnachweisen für SportlerInnen. „Es kommt heute schon vor, daß uns Athleten versichern, sie wären bei McDonald's gewesen, wenn ihr Doping- Test positiv ausfällt.“ Das könnte zukünftig bei uns die Regel werden – und ganz legal.

Auf Einladung des Agrarkommissars der Europäischen Union (EU), Franz Fischler, waren in der vergangenen Woche über siebzig HormonexpertInnen aus der ganzen Welt nach Brüssel gekommen, um in drei Arbeitsgruppen über aktuelle und in der Entwicklung befindliche wachstumsfördernde Substanzen und Manipulationstechniken, deren Gesundheitsrisiken sowie Überwachungs- und Kontrollverfahren zu diskutieren.

Geplant war von vornherein, daß auf der Konferenz im wesentlichen nur Aspekte zur Sprache kommen, die die menschliche Gesundheit tangieren. Mit dieser Beschränkung wurde die Möglichkeit verschenkt, auch die veterinärmedizinischen und agrarwissenschaftlichen Argumente, die ursprünglich zu dem Verbot geführt hatten, gebührend zu diskutieren.

Über die Steroidhormone, die körpereigenen Sexualhormone Östrogen, Progesteron, Testosteron und die beiden synthetischen Substanzen Trenbonol und Zeranol, allesamt in den USA in der Tiermast erlaubt, wurde auf der Konferenz jedoch am wenigsten diskutiert. Die Wissenschaftler unterstellen eine zulässige tägliche Aufnahmemenge, so daß nach ihrer Ansicht „nur“ gewährleistet sein muß, daß der maximale Rückstandswert nicht überschritten wird. Die Realität, Doping im Tierstall in hoher Dosierung und Hormoncocktails, blieb ausgeklammert: „Wir haben gar nicht genug Informationen über die auf dem Schwarzmarkt benutzten Mittel, das gehört in die Politik.“

Bei Beta-Agonisten, wie dem berüchtigten Clenbuterol, wurde eine „schlechte Verwendung“ wie sie beispielsweise in Spanien zu Vergiftungen geführt hatte, zwar erwähnt, fand sich aber im abschließenden Bericht der Arbeitsgruppe nicht wieder. So wurden aus Herzrhythmusstörungen „vorübergehende Erhöhungen der Herzfrequenz“. Auch die im Frühherbst von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde veröffentlichten Daten über das gentechnisch hergestellte Rinderwachstumshormon, das rekombinante Bovine Somatotrophin (rBST), kamen auf der Expertenanhörung nicht zur Sprache. Danach treten Euterentzündungen gehäuft bei Kühen auf, die mit dem in den USA vor zwei Jahren zugelassenen und vom Chemiemulti Monsanto produzierten rBST gespritzt wurden. Statt dessen wurde festgehalten, rBST habe auf Verhalten und Wohlbefinden der Milchkühe keinen Effekt. Erst nachdem ein Wissenschaftler insistierte, wurde dem Arbeitsbericht noch hinzugefügt, daß es in einzelnen Fällen nach hohen Dosen Lebertumore und Abszesse gegeben habe.

Ein weiteres Thema waren sogenannte Immunomodulatoren. Auch nach zehnjähriger Erforschung gelten sie als weit von einem Routineeinsatz entfernt. Spezifische Antikörper sollen körpereigene Hormone an ihrer Aktivität und Wirkung hindern.

Blockiert werden hier vor allem Hormone, die die Bildung und Ausschüttung des Wachstumshormons bremsen, wenn es eine ausreichende Konzentration im Blut erreicht hat. Außer Frage steht inzwischen, daß es eine Wechselwirkung zwischen einzelnen Antikörpern gibt. Da sie im Detail aber nicht erforscht ist, wird die Gefahr gesehen, daß sie außer Kontrolle geraten kann.

Obwohl immer wieder betont wurde, dies sei eine wissenschaftliche Konferenz, Politik spiele keine Rolle, wurde hier als wesentlicher Vorteil der Immunomodulation betont, sie sei als Impfung zu bezeichnen und würde deshalb in der Öffentlichkeit sicher auf mehr Akzeptanz stoßen als etwa das Spritzen von Wachstumshormonen.

Im Resümee zum Stand der gentechnischen Manipulation von Embryonen mit Wachstumshormon-Genen wurde die Erfolgsquote bei landwirtschaftlich genutzten Tieren mit 0,5 bis 2 Prozent angegeben. Die krankhaften Auswirkungen auf Schweine seien erheblich gewesen. Auch ein mit Wachstumshormon-Genen manipuliertes Kalb habe man produziert. „Es war nicht das gesündeste“, so der Tierarzt Matthias Müller, der die Kosten der Herstellung solch eines Tieres mit einer halben Million US-Dollar bezifferte. Aufgrund von Akzeptanzproblemen in der Öffentlichkeit habe man schließlich diese Manipulationen in Deutschland aufgegeben. Im Vergleich zum Spritzen mit Wachstumshormonen sei der gentechnische Ansatz zur Zeit zu teuer und viel zu mühsam. Müller bezeichnete das Wachstumshormon-Gen aber weiterhin als das vielversprechendste. Die Wachstumsraten genmanipulierter Regenbogenforellen seien um das Siebzehnfache höher gewesen als bei nicht manipulierten. Müller, der früher an der Uni München tätig war, setzt inzwischen seine gentechnischen Arbeiten an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien fort.

Die große Bedeutung, die die Agrarkommission der Konferenz beimaß, drückte sich besonders in der Wahl des Präsidenten aus: Sir John Maddox ist Herausgeber des renommierten Wissenschaftsmagazins Nature. Sein Endbericht war zum Abschluß der Konferenz, am Freitag, mit großer Spannung erwartet worden. Statt dessen begann Maddox jedoch mit einer Entschuldigung: Trotz Arbeit bis tief in die Nacht könne er nur ein Dreipunktepapier vorlegen. Mit dem endgültigen Bericht sei erst Ende des Monats zu rechnen.

Die natürlichen Steroidhormone wurden als „unter den beschriebenen Bedingungen“ ungefährlich eingeschätzt. Bei den synthetischen dagegen, gäbe es noch Wissenslücken. Grundsätzliche Bedenken wurden gegen die zum Teil in den USA verbotenen Beta- Agonisten erhoben. Gefordert wurde eine internationale Koordination der Überwachung.

Während auch Sir Maddox immer wieder betonte, daß es sich um eine wissenschaftliche Konferenz handele, zog er die Schlußfolgerung, die Veranstaltung habe nichts ergeben, womit sich die EU gegen eine Klage der USA vor der Welthandelsorganisation verteidigen könne. Ganz anders lautete die Bewertung von Agrarkommissar Fischler: „Die vorgelegten Daten haben ergeben, daß alle Hormone neu bewertet werden müssen.“