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■ Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Bundestagsfraktion in der Frage eines Einsatzes der Bundeswehr in Bosnien zwar an die Kette gelegt. Wie aber jede/r einzelne sich zum Antrag der Bundesregierung verhalten wird, ist offen.Die Grünen trauen

Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Bundestagsfraktion in der Frage eines Einsatzes der Bundeswehr in Bosnien zwar an die Kette gelegt. Wie aber jede/r einzelne sich zum Antrag der Bundesregierung verhalten wird, ist offen.

Die Grünen trauen ihren „Olivgrünen“ nicht

Der alte Spruch über den Ablauf von Grünen-Parteitagen bewahrheitete sich auch in Bremen wieder: Ludger siegt im Saal, Joschka vor der Tür. Während Ludger Volmer einigermaßen fassungslos mit anhörte, wie das Tagungspräsidium seinen Sieg mit lediglich 268 Stimmen auszählte, lehnte Joschka an einer Theke im Foyer und ließ keinen Zweifel daran, daß er sich als eigentlichen Gewinner des Schicksalsparteitages sah. Die gut 37 Prozent der abgegebenen Stimmen, die seine Realos in der entscheidenden Kampfabstimmung für sich verbuchen konnten, waren tatsächlich mehr, als sie selbst erhofft hatten. „Mit diesem Ergebnis“, so Helmut Lippelt, der den Realo-Antrag mit unterzeichnet hatte, „kann man die Fraktion nicht mehr knebeln.“

Das Erstaunliche am Wochenende in Bremen war, daß beide konkurrierenden Gruppen sich von der Parteitagsregie betrogen fühlten. Als am Samstag morgen um 9 Uhr die Delegierten nach und nach im weiten Rund der Bremer Stadthalle einliefen, waren die Realos bereits alarmiert: Die Linken, so hieß es, hätten einen Abstimmungsmodus durchgesetzt, der ihnen von vorneherein keine Chance ließ. Antje Vollmer, mittlerweile Bundestagsvizepräsidentin, sah sich an unselige Zeiten erinnert. „Die werden hier durchstimmen und der Minderheit keine Chance lassen.“ Daß es dann doch nicht so kam und die Minderheit – die als „letztes Mittel zur Verhinderung eines drohenden Völkermordes“ das Militär schicken will – mit einem sehr respektablen Ergebnis am Abend die Halle verließ, war dann vielleicht doch der Debatte geschuldet und nicht nur Ergebnis finsterer Intrigen.

Der Kampf um eine neue außenpolitische Linie von Bündnis 90/Die Grünen spielte sich in drei Etappen ab. Zuerst kam eine fünfstündige inhaltliche Auseinandersetzung, dann ein vierstündiges Abstimmungschaos und zuletzt, vertagt auf den Sonntagmorgen, der Tumult um die Konsequenzen, die das Ergebnis des Parteitages nun für die Fraktion haben soll. Wer nach Bremen gekommen war, um noch einmal alle Argumente dieser Diskussion, die die Grünen nun seit vier Jahren umtreibt, zu hören, wurde am frühen Samstagnachmittag kompakt bedient. Die beiden SprecherInnen von Fraktion und Bundesvorstand, Kerstin Müller und Joschka Fischer, gefolgt von Krista Sager und Jürgen Trittin, lieferten die Pros und Contras noch einmal im Zeitraffer. Nicht ohne jeweils zu erwähnen, daß die andere Position genauso moralisch achtenswert sei wie die eigene.

Vor allem Joschka Fischer zeigte wieder einmal, daß er zu Recht als glänzender Redner gilt. Viele hatten ihm einen schweren Gang nach Bremen vorausgesagt, viele glaubten, seine Rolle in der Partei sei ernsthaft gefährdet. Instinktiv tat Joschka dann das einzig Richtige: Er hielt keine Rede über Militär und Außenpolitik, sondern erzählte den etwa 700 ParteifreundInnen von der ganz persönlichen Wandlung des Joseph F., endend mit dem Gestus: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wer wollte ihm das übelnehmen? Wer wollte ihm die Wahrhaftigkeit absprechen, wenn Joschka, unter Bezugnahme auf seine Auseinandersetzung mit Auschwitz, sagte: „Bei den Massenmorden in Srebrenica war bei mir eine Grenze überschritten.“

Angesichts solchen Bekennermuts hatten es die anderen schwer. Beschwörend erinnerten die Pazifisten ihre Partei an die Wurzeln in der Friedensbewegung, beschwörend erinnerten sie an die Menschheitserfahrung, wonach Gewalt immer wieder nur neue Gewalt nach sich zieht und Krieg nicht mit Krieg bekämpft werden kann. Eine substantielle Veränderung der Weltlage durch den Umbruch 1989 vermochten sie ebenfalls nicht zu sehen, denn Kriege habe es davor und danach gegeben.

Ein Ausweg aus dem Dilemma versprach der Antrag des ehemaligen Parteisprechers Ludger Volmer, der mit der Unterstützung von Jürgen Trittin und der Mehrheit des Bundesvorstandes versucht hatte, einen Kompromiß zu formulieren. Volmer gestand den Realos zu, daß die Sowjetunion und die Westalliierten den deutschen Faschismus nur mit ihren eigenen Truppen bekämpfen konnten. Aber auch dieser Sieg hatte so viele Schrecken, daß „1945 zu einer Zäsur für eine veränderte Außenpolitik werden muß“.

Machtransfer auf die Ebene von Organisationen wie UNO und OSZE gehört zum unumstrittenen Kanon grüner Außenpolitik, eine nationale Militärpolitik will niemand. „Über Erfolg oder Mißerfolg internationaler Organisationen“, so Hubert Kleinert, Uschi Eid und andere, die sich für die „Völkermordklausel“ engagierten, „entscheiden extreme Situationen wie die in Srebrenica. Wenn der Schutz der Völkergemeinschaft in extremen Bedrohungssituationen versagt, stärkt dies auf Dauer diejenigen, die behaupten, wir müssen uns auf die eigenen, nationalen Kräfte verlassen.“

Der wesentliche Einwand von Jürgen Trittin, Ludger Volmer und anderen gegen die „Öffnungsklausel“ bei drohendem Völkermord ist die Frage, wer den drohenden Völkermord feststellt und wo in der Welt eine solche Situation auftreten könnte. „Warum soll die Bundeswehr dann nicht in der Türkei eingreifen. Zeigt nicht der Krieg gegen die Kurden ebenfalls Merkmale eines Völkermordes“, fragte Jürgen Trittin. Und gab die Antwort selbst: „Das würde den Krieg nur eskalieren und im übrigen im UN-Sicherheitsrat nie eine Mehrheit bekommen.“

Nachdem die Debatte sich im wahrsten Sinne des Wortes erschöpft hatte, kam die Abstimmungskabale. Das Parteitagspräsidium hatte sich im Einvernehmen mit allen Antragstellern auf vier Anträge geeinigt, aus denen der Parteitag den Leitantrag herausfiltern sollte. Zu den Anträgen Volmer/Trittin und Kleinert/Fischer kamen zwei radikalpazifistische, die sich nicht wesentlich unterschieden, sondern beide Militäreinsätze, auch den Einsatz friedenserhaltender Blauhelmkräfte, kategorisch ablehnten. Weil die Linken verhindern wollten, daß die Gegner der „Völkermordklausel“ sich auf drei Anträge aufsplitten und Kleinert/Fischer so womöglich noch eine relative Mehrheit bekommen könnten, wurde gegen heftigen Widerstand beschlossen, daß im ersten Wahlgang jeder/jede vier Stimmen hat. Die beiden Anträge mit den meisten Stimmen sollten dann gegeneinander gestellt werden.

Während die Realos auf „one woman, one vote“ beharrten und schon überlegten, ob sie den Parteitag demonstrativ verlassen sollten, wurde ausgezählt. Dann das Ergebnis: Zwar erhielt Ludger Volmer die meisten Stimmen, aber die vier Anträge lagen doch viel dichter beieinander als zuvor angenommen. 371 Jastimmen für Volmer, 260mal Ja für Kleinert.

Nachdem Fischer zuvor die Parole ausgegeben hatte, alles, was mehr ist als auf dem Sonderparteitag zu Bosnien im November 93, sei ein Erfolg, sah man nun plötzlich viele zufriedene Gesichter. Heftige Debatten dagegen bei den Linken, die sich um die Chance gebracht sahen, in einer echten Kampfabstimmung gegen Kleinert/Fischer die Mehrheitsverhältnisse klarzustellen. Jetzt blieb die Parteitagsregie jedoch bei der einmal eingeschlagenen Linie, und bei der Schlußabstimmung bekam der Leitantrag Volmer dann nur noch 268 Stimmen. Während die Realos behaupteten, viele Delegierte hätten eben gar nicht mehr abgestimmt, waren Volmer und Trittin überzeugt, das Präsidium hätte bei der Auszählung glatt hundert Jastimmen unterschlagen.

Aus dieser Mißstimmung wurde auch am Sonntag morgen kein Fest mehr. Obwohl Christian Ströbele sich engagiert ins Zeug legte, um den Delegierten klarzumachen, daß der Parteitagsbeschluß vom Samstag der Fraktion eine Zustimmung zum Bosnien-Einsatz der Bundeswehr kategorisch verbiete, kam doch keine rechte Stimmung mehr auf. Eher gedrängt forderte die Mehrheit die Bundestagsfraktion auf, dem Regierungsantrag „nicht zuzustimmen“, sondern einen eigenen Antrag einzubringen. Das wird die Fraktion natürlich tun, aber wie dann jede/jeder einzelne sich zum Antrag der Bundesregierung verhalten wird, ist offen. Werner Schulz, Geschäftsführer der Fraktion, verwies auf einen Passus aus dem Einigungsvertrag zwischen Bündnis 90 und Grünen, in dem klargestellt wird, daß kein Abgeordneter gezwungen werden darf, gegen seine Überzeugung zu handeln. „Ich finde gegen den Antrag der Bundesregierung einfach keine überzeugenden Argumente“, sagte Schulz fast bedauernd. Jürgen Gottschlich, Bremen

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