Sanssouci
: Rundumschlag

■ Einkaufen, Folge 1: Produkte finden, die zu einem passen – im Hertie-Soziotop am Halleschen Tor

Was anderen das traute Heim oder die Firma, ist dem Junggesellen Hertie, Penny oder der Edeka-Markt. Als alleinstehender Mensch treibt man sich meist auf dem freien Markt herum und bemerkt dann irgendwann erschreckt, daß man eigentlich die meiste Zeit seines Lebens bei Hertie am Halleschen Tor verbringt. Ziellos strolcht man zwischen Sachen herum und bemüht sich, möglichst unvereinbar scheinende Dinge im Einkaufswagen miteinander zu kombinieren, um zu zeigen, daß man selbst nicht von den Dingen beherrscht wird, und damit die anderen darüber lachen, und wünscht sich, daß es Weltraumnahrung in Tuben gäbe. Dann setzt man sich ins immer melancholische Hertie-Restaurant „le buffet“ und liest den Polizeibericht in der Zeitung und beneidet die Hertie-Mitarbeiter, die in der Mitarbeiterzone essen dürfen und lustig sind. Und dann ist der Tag schon wieder vorbei. Auch Weihnachten steht vor der Tür.

Hertie ist prima und „Gut ist uns nicht gut genug“ und „Hallo Schnäppchenjäger, aufgepaßt!“ Im Gegensatz zu angesagteren Schuhläden in der Gegend, die früher mal stolz „61“ hieß, gibt es bei Hertie auch Schnürsenkel! Und mit den Jahren wächst einem das Hertie-Soziotop sehr ans Herz, und man möchte ein bißchen dazugehören und freut sich über die scherzhaften Bemerkungen der netten dicken Frau am Käsestand und bemüht sich bei der Anfahrt, den Punkern im Eingangsbereich zu signalisieren, daß man sie netter findet als die andern, und stellt sein Fahrrad besonders achtlos hin und guckt beim Reingehen die Hausbullen böse an. Die netten Punker wirken manchmal so, als wären sie bei Hertie angestellt, und vielleicht sind sie's auch, und deshalb geh' ich zu Hertie.

Wer keine Dinge hat, die sich erwachsen und notwendig geben – Autos, Kinder, Bausparverträge –, und auch nicht spielsüchtig ist und keine Ambitionen hat, in exotische Gegenden zu reisen, kauft meist mehr oder weniger überflüssige Sachen, weil man das eben so macht: Sonnenbrillen der Marke „Puma“ für 135.–, blaue Seidenjacketts im SSV bei Hertie, obgleich einem Schwarz besser gefällt (statt 179.– nur noch 79.– Mark!); Deckenfluter mit Leselampe Marke „Bestar“ für 129.– (vormals 159.–). Die stehen dann im Kühlschrank und passen nicht zueinander, und manchmal fragt man sich, was das denn alles soll und ob es nicht vielleicht doch ein Produkt gibt, das zu einem paßt.

Manches kauft man, weil es gerade im Preis herabgesetzt ist, anderes, weil es teuer ist und einem beim Kaufvorgang ein seltsames Gefühl von Souveränität vermittelt, wenn man 14 Mark für blödfarbene Designerstrümpfe ausgibt. Meist steht man ein bißchen verloren und unentschlossen herum. Selten stellt sich Zufriedenheit ein beim Sachenkaufen, und wenn, dann meist viel später. Nach dem Kaufvorgang fand ich die letzte CD von Scott Walker („Tilt“), die beleidigenderweise bei WOM im Oldieregal steht, zum Beispiel zu suizidal. Inzwischen denke ich, daß Walker („The sun ain't gonna shine anymore“) der größte zeitgenössische Melancholiker ist, was allerdings nichts mehr mit dem Kauf zu tun hat. So geht's einem oft, und die Dinge verlieren ihren Warencharakter, und man hat sie dann gerne.

Am Wochenende, wenn noch Geld rumliegt, werden größere Fahrten unternommen: Bei Karstadt am Hermannplatz gibt es Kamelhaarpullover für die Info-Elite (135.– Mark, bei Hertie nur 119.–, hab' ich mich geärgert!) und Schachcomputer (199.–). Schachbretter dagegen sucht man vergebens. Weitere Reisen – zu Ikea nach Waltersdorf oder zum Anzugkauf nach Polen – unternimmt man mit Freunden.

Bei Ikea kauft man sich Sessel. Die heißen „Rimbo“, sehen blöd aus, sind aber sehr bequem. Eine Freundin scheut inzwischen ein bißchen vor der Ikea-Sitzmöbelabteilung zurück. Denn das letzte Mal hatte sich ihr Freund auf alle möglichen Sessel gesetzt und immer wieder ziemlich laut gesagt, das sei ja so „superbequem“, und da könnte man sich ja prima „einen blasen lassen“. Da hatten die Leute komisch geguckt, und ihr war das alles sehr peinlich.

Ihr Freund hat übrigens gerade einen Job als Lagerarbeiter und erzählt gerne von seinen „supernetten“, schon etwas älteren Kollegen. In den Frühstückspausen sitzen die Lagerarbeiter bei kunstvoll beschmierten Stullen zusammen und schauen sich Pornomagazine an, in denen sich Männer in der Sonne am Swimmingpool einen blasen lassen. Dann sagt Herr Senkelmann, der Herr im Pornomagazin habe es doch viel besser als sie. Das finden die anderen Lagerarbeiter auch und lachen alle und sind recht vergnügt.

So richtig frei ist die bunte Pornowelt übrigens nicht, auch wenn neulich in der Berliner Zeitung irgendeine Sexdarstellerin Programmtips gab. Dem Fußballstar Mario Basler (Werder Bremen), der „schlafen, schlafen, schlafen“ zu seinen Lieblingshobbies zählt, wurde jedenfalls Anfang des Jahres vom DFB „in letzter Minute“ verboten, einen Popsong mit dem „Pornostar“ Dolly Buster aufzunehmen. Das Projekt widerspreche Baslers „Vorbildrolle als Fußball-Nationalspieler“, hatte der DFB moniert. Detlef Kuhlbrodt