Strafbar: Ziviler Ungehorsam gegen Abschiebung

■ Das Bonner Amtsgericht sprach gestern das letzte Urteil in Prozessen gegen Unterzeichner eines Aufrufs zur Entzäunung eines Abschiebeknasts: 15 Tagessätze

Bonn (taz) – Wegen der Aufforderung zur Sachbeschädigung verurteilte das Bonner Amtsgericht gestern die Stendaler Ärztin Erika Drees zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 70 Mark. Ihr Vergehen: Sie hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit rund 600 weiteren Personen einen Appell des „Aktionskreis Ziviler Ungehorsam für Asylrecht“ unterzeichnet. In diesem wurde aufgerufen zur „gewaltfreien Entzäunungsaktion der Abschiebehaftanstalt am Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember 1994“ in Worms.

Mehrere Hundertschaften Polizei hatten die Entzäunung damals vor Ort verhindert. Drees, die sich selber verteidigte, verwies in der Verhandlung auf die menschenfeindliche Behandlung von Asylsuchenden. Exemplarisch nannte sie sechs Ausländer, die sich seit der Änderung des Asylrechts 1993 aus Furcht vor ihrer Abschiebung umgebracht haben: „Kein einziges Todesopfer ist durch Ihre Argumentation, Herr Richter, gerechtfertigt.“

Der Amtsrichter Hertz-Eichenrode hatte bereits im Juli für Furore gesorgt: Da belehrte er im Gerichtssaal einen anderen Unterzeichner des Aufrufes, daß Asylsuchende „die nationale Identität zerstören“. Als gestern Drees ihr Schlußwort hielt, hatte Hertz-Eichenrode schon das Urteil gesprochen, „die Verhandlung ist beendet“ gemurmelt und als einziger den Sitzungssaal schleunigst verlassen. Die Angeklagte hatte vergebens darauf gewartet, daß der Richter ihr vor Verkündung des Urteils ausdrücklich „das letzte Wort“ erteilt.

In der mit dem gestrigen Verhandlunggstag beendeten Prozeßreihe behandelte die deutsche Justiz erstmals zivilen Ungehorsam gegen Abschiebeknäste. Vor zwei Wochen waren fünf Mitglieder des neunköpfigen Aktionskreises ebenfalls zu je fünfzehn Tagessätzen verurteilt worden, unter ihnen Martin Single und Klaus Vack, die Initiatoren des Protestes.

Mit diesem Urteil war Amtsrichterin Wuttke unter dem Strafmaß ihrer Kollegen geblieben, die in Prozessen zuvor schon sieben weitere UnterzeichnerInnen zu je 30 Tagessätzen verurteilt hatten, mal wegen Aufforderung zur Sachbeschädigung, mal zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung und auch zum Landfriedensbruch. Alle sieben gingen in Berufung, welche das Bonner Landgericht in einem Fall bereits verwarf.

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft gegen alle 600 UnterzeichnerInnen des Appells Ermittlungsverfahren eingeleitet. In den meisten Fällen boten die Strafverfolger später an, die Ermittlungen gegen 300 Mark Geldbuße einzustellen. Wer das Sonderangebot nicht wahrnahm und statt dessen Widerspruch einlegte, erhielt kurz darauf statt eines Strafbefehls den Bescheid über das Ende des Verfahrens. Bernd Neubacher