Vorschlag

■ Material Sprache. Eugen Gomringer in der Literaturwerkstatt

Er begründete die konkrete Poesie Foto: Gezett

Knapp und kahl stehen sie da, die Wörter, abgespalten vom Wust der Bedeutungsschichten, losgelöst aus dem Regelwerk des Satzbaus: „baum / baum kind // kind / kind hund / hund / hund haus // haus / haus baum // baum kind hund haus.“ 1953 veröffentlicht Eugen Gomringer dieses Gedicht in dem Band „konstellationen“. Die dort versammelten Sprachexperimente haben nichts mehr gemein mit herkömmlicher Lyrik, die als „kunsthandwerkliche reminiszenz“ abgetan wird. Sie wollen Sprache als Material nehmen, sich auf Laute und Schriftbild konzentrieren und im Rückgriff auf mathematische Prinzipien die Wörter so kombinieren, daß sich neue Assoziationsfelder und Spielräume ergeben. Ein „neues gedicht“ soll dabei entstehen, ein Gedicht, das sich als „seh- und gebrauchsgegenstand“, als „denkgegenstand – denkspiel“ gibt und zugleich so verständlich ist wie „anweisungen auf flughäfen oder straßenverkehrszeichen“. Hiermit bereitet Gomringer vor, was er bald, angelehnt an die konkrete Kunst Max Bills, konkrete Poesie nennen wird.

Gomringer, der heute abend in der Literaturwerkstatt zu Gast ist, gefällt die Grenzüberschreitung. Schon seine Biographie verzeichnet die unterschiedlichsten Stationen. Geboren wurde er in Bolivien, aufgewachsen ist er in der Schweiz, studiert, gearbeitet und gelehrt hat er dort, in Rom und in Deutschland. Lange Zeit arbeitete er für Industrie und Werbung. „einige werbetexte zähle ich zum besten, was ich geschrieben habe“, meint er heute rückblickend. Als Praktiker und Theoretiker der konkreten Poesie beruft er sich auf Gestaltungselemente der Musik ebenso wie auf solche der bildenden Kunst. Rhythmus, Klang und die Anordnung der Buchstaben auf dem Papier spielen eine große Rolle. Sprachbarrieren schrecken ihn nicht: Die „konstellationen“ sind viersprachig. Und stets sucht er die Zusammenarbeit mit Künstlern aus anderen Ländern, etwa mit den brasilianischen Vertretern der konkreten Poesie, der „Schule von São Paulo“ aus den fünfziger Jahren. „Konkrete Poesie. Eine internationale poetologische Bestandsaufnahme“ ist denn auch die heutige Veranstaltung betitelt. Ein Video, Dias und eine Lesung machen mit einer literarischen Strömung vertraut, der sich neben Gomringer Autoren wie Ernst Jandl, Helmut Heißenbüttel oder Friederike Mayröcker verhaftet fühlen. Cristina Nord

Heute, 20 Uhr, Literaturwerkstatt, Majakowskiring 48, Pankow