Aus Waibels Alpträumen

Der Fisch stinkt vom Helm her: Wenn in der maroden Deutschen Eishockey Liga die ersten Klubs zumachen, werden Spieler vom Eis müssen. Spieler wie Harald Waibel.

Mittlerweile ist es so, daß Harald Waibel überhaupt keine Ruhe mehr findet vor Rechtsanwälten und Konkursverwaltern, nicht mal nachts. Neulich wieder sind welche herbeigeschlichen, dunkle Aktenkoffer unterm Arm, haben Unterlagen durchgeblättert, sanft den Kopf geschüttelt und sich verschwörerisch gedämpft was zugemurmelt. Aber nicht leise genug, Harald Waibel hat sie von Pleite, Pleite, Pleite wispern hören; dann haben die Konkursverwalter die Schlösser ihrer Aktenkoffer zuschnappen lassen, sind kehlig lachend vom Kopfkissen gesprungen, und Harald Waibel saß aufrecht im Bett. Aus der Traum.

Es ist alles zuviel für einen jungen Mann wie Harald Waibel (22), Beruf Eishockeyspieler. Und das ist ein Wunder nicht, wenn man bedenkt, was er durchlitten hat in der Deutschen Eishockey Liga. Vor ei

nem Jahr, es war auch im Advent, konnte sein Verein Maddogs München, deutscher Meister immerhin, nicht mehr weitermachen, weil das Geld fehlte. Die Spieler retteten sich hierhin und dahin: Waibel kam bei EC Hannover unter, wo sie inzwischen auch konkurs sind, aber trotzdem versuchen, den ungebremsten Sturz in die Pleite zu verhindern und zumindest diese Saison zu Ende zu bringen. Doch Waibel weiß: „Es wird schwierig.“

Längst hat er seinen Berater beauftragt, für ihn einen neuen Verein in der DEL zu suchen, wie damals, nach dem Maddogs-Crash. Eine fürchterliche Situation sei das für einen Spieler: „Du kannst ja nur zu Hause sitzen und warten und hoffen, daß er irgendwann anruft und sagt: Ich hab' da was.“

Es hat ihn unvorbereitet getroffen. Lange war es den Bossen in Hannover gelungen, die Fehlbeträge im Etat vor den Spielern geheimzuhalten. Großartig nachgefragt hat keiner. Auch kein Journalist. Das war in München anders. Da konnten sich die Spieler durch die morgendliche Lektüre der fünf örtlichen Zeitungen über die Haushaltslage ihres Arbeitgebers auf dem laufenden halten und sich so auf das Schlimmste vorbereiten.

In Hannover hatte das Präsidium ihnen erst erzählt, die Gehaltszahlungen verzögerten sich, weil in der Geschäftsstelle viel Personal krank sei. Dann aber war von heute auf morgen der Geschäftsführer zurückgetreten. „Erst da“, sagt Waibel, „haben wir gedacht: Aha.“

Was für ein Déjà-vu: In Hannover ist alles wie in München. Zuviel Geld ausgegeben, zuwenig Zuschauer gehabt in unzähligen Vorrundenspielen, bei denen es um überhaupt nichts geht. Für den Meisterschaftsmodus können sie nichts, über die Verhältnisse gelebt haben sie trotzdem – so geht man bankrott, und die Spieler mit ihrem üppigen Salär haben ihren Anteil daran.

Ordentliches Grundgehalt, freie Wohnung, freies Auto, 1.500 Mark pro Punktgewinn – nicht schlecht für Waibel, einen Puckschläger eher mediokren Zuschnitts. Moment, sagt der, soviel sei es auch nicht: Die Wohnung habe er zum Teil selber bezahlt, und 1.500 Mark pro Punkt hätten in Hannover auch nur die Stars im Team bekommen, „die meisten kriegen so 500 bis 1.000. Ich auch.“ Das ist immer noch genug, um sich was zurückzulegen für schlechtere Zeiten, die offenbar bevorstehen: „Die Zukunft sieht düster aus“, sagt Waibel, morgens wache er deswegen bisweilen „mit Bauchweh auf, das geht mir total aufs Gemüt.“ Existenzangst treibt inzwischen viele Profis um, die keine Stars sind, sondern „Ergänzungsspieler“, wie mancher Trainer vorsichtig formuliert, um nicht Mitläufer sagen zu müssen. Die Eishockeybegeisterung im Land nährt nicht 18 Profi-Vereine, das hat sich längst gezeigt. In Berlin ringt man bei Preussen und Eisbären um Luft, in Augsburg sieht es nicht gut aus, in Krefeld und Weißwasser sah es das nie. Überall das gleiche: Die Pleiten in der DEL haben Sponsoren verschreckt, die so schnell nicht zurückzuholen sein werden, die Profis werden sich bescheiden müssen. „Es ist doch überall schlechter geworden, die Krise erreicht mittlerweile jeden“, sagt Waibel. Vor einem Jahr haben noch alle Maddogs einen neuen Klub gefunden, inzwischen grübelt er in stillen Minuten darüber nach, „ob es nicht besser wäre, etwas anderes zu machen und den Sport nur noch hobbymäßig.“

Trotzdem, von der glitzernden Eisbahn zurück in den gelernten Beruf als Maschinenschlosser? Es gibt verlockendere Perspektiven.

Außerdem nervt die Ungewißheit. Letztes Jahr hat er in der Weihnachtszeit von München nach Hannover umziehen müssen, diesmal weiß er am ersten Advent noch nicht, wo er Heiligabend die Päckchen aufmacht: „Vielleicht in Hannover, vielleicht zu Hause, in Pfronten im Allgäu.“

Pfronten, das ist Diaspora, zweite Liga Süd. „Nein, nein“, sagt Harald Waibel, „nach Pfronten will ich, weil da meine Familie wohnt. Nicht wegen einem neuen Verein.“ Holger Gertz