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Das Asylrecht schafft „Übergangsprobleme“

■ Vor dem Bundesverfassungsgericht belegen Richter skandalöse Abschiebepraxis. Die Regierung kommt mit ihrer „sicheren“ Drittstaatenregelung in Bedrängnis

Karlsruhe (taz) – Langsam wird es in Karlsruhe ungemütlich für die Bundesregierung. Am vierten und wohl letzten Verhandlungstag über das neue Asylrecht entpuppte sich das hochgelobte „europäische Sicherheitskonzept“ als echte Pannenordnung. Die Bundesregierung mußte in mehreren Fällen bei der Anwendung der Drittstaatenregelung „Übergangsprobleme“ zu Lasten der Flüchtlinge einräumen. Auch bei der Bestimmung „sicherer Herkunftsstaaten“ konnte dem Auswärtigen Amt schlampige Recherche nachgewiesen werden.

Wie schon so oft in der Karlsruher Asylverhandlung wollte Kay Hailbronner, der Rechtsvertreter der Bundesregierung, die bohrenden Fragen der Flüchtlingsanwälte nur als „theoretische Konstrukte“ abtun. Da aber zückte Richter Ernst Wolfgang Böckenförde eine Verfassungsbeschwerde, die dem Gericht seit einigen Tagen vorlag. „Wir haben hier den Fall“, erläutert Böckenförde in ruhigem, aber scharfem Ton, „daß eine Iranerin über die Tschechische Republik nach Deutschland einreist und Asyl beantragt; sie wird aber sofort zurückgeschickt, weil sie ja über einen sicheren Drittstaat eingereist ist. In der Tschechischen Republik jedoch kann sie auch kein Asylverfahren erwarten, weil sie bereits bei ihrer ersten Durchreise einen entsprechenden Antrag hätte stellen müssen. Statt dessen wird ihr die sofortige Abschiebung in den Iran angedroht“, so die eindringliche Schilderung Böckenfördes.

Hailbronner wird merklich unsicher. Der vorwurfsvolle Vortrag des Verfassungsrichters paßt ihm, der immer wieder um Vertrauen in die Nachbarstaaten warb, nun wirklich nicht in die Strategie. Schließlich bequemt er sich doch dazu, „Defizite“ einzugestehen, die allerdings nur „Übergangsprobleme“ seien. Flüchtlingsanwalt Hoffmann nutzt die Situation und schiebt noch zwei ähnlich gelagerte Fälle nach. „Wissen Sie, Herr Hailbronner, wenn ich meine Kanzlei so chaotisch organisieren würde, wie der Gesetzgeber sein Asylverfahren, dann hätte ich vor Gericht nichts zu lachen.“ Doch Hailbronner bleibt dabei: „Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, für solche extraordinären Fälle ein neues Rechtsschutzverfahren vorzusehen, das den ganzen Asylkompromiß zunichte machen würde.“

Zwischen den Zeilen weist er dann aber darauf hin, daß im Einzelfall ja noch das Verfassungsgericht helfen könne. Da wird sich der Senat gefreut haben, der inständig hofft, daß nach diesem Verfahren der Mißbrauch der VerfassungshüterInnen als besseres Verwaltungsgericht endlich enden möge. Immerhin ein Drittel aller Verfassungsbeschwerden betreffen derzeit das Asylrecht.

Weiter ging es mit den sicheren Herkunftsstaaten. Im Blickpunkt stand Ghana, weil das Gericht zwei entsprechende Verfassungsklagen ausgewählt hatte. Zuerst konnte Innenminister Kanther (CDU) noch aufatmen. Das Hohe Flüchtlingskommissariat der UNO bestätigte, daß es in Ghana keine systematische politische Verfolgung mehr gebe.

Doch schon kurze Zeit später stand die Bundesregierung erneut ohne Hosen da: Noch im Juli dieses Jahres hieß es in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes, daß in Ghana seit Ende der 80er Jahre keine Todesstrafen mehr vollstreckt werden. Vor Gericht konnte amnesty international aber eindeutig nachweisen, daß es in den 90er Jahren bereits 21 Hinrichtungen gegeben hat. Kleinlaut mußte ein Regierungsvertreter einräumen, daß der Bericht vor wenigen Wochen korrigiert wurde. Die Sicherheit vor „erniedrigender Bestrafung“ ist damit nicht mehr gegeben.

Die mündliche Verhandlung sollte am Abend zu Ende gehen. Mit einem Urteil ist nicht vor Februar nächsten Jahres zu rechnen. Christian Rath

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