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■ DaumenkinoGiftmischers Handbuch

Es beginnt mit einem wahrhaft englischen Trauma: Der Nachmittagstee schmeckt nicht so wie sonst. Schon langt der Vater dem 14jährigen Graham ins Gesicht, aber diesmal ist er ausnahmsweise unschuldig. Seine Schwester Winnie hat nachts Gesichtsenthaarungscreme in der Teetasse angerührt.

Das Handbuch des jungen Giftmischers ist ein Komödiendrama, angesiedelt im Mittelklasseengland des Jahres 1961. Eine Zeit, in der es für Pornohefte unterm Bett noch ordentlich was hinter die Segelohren gibt. Aber auch diese Bestrafung des pubertierenden, angehenden Chemielaboranten trifft den Falschen. Nach seinem Blick zu urteilen, hätte Vater den Ärger verdient. Weil Graham Tierversuchsgegner ist, probiert er seine Kopien von berühmten Schering-Arzneien an Familienmitgliedern aus. Diese kann er auch nachts noch beobachten und die Ergebnisse seiner Fallstudien in einer Fieberkurve protokollieren. Während die Schwester mit einer Augenklappe auf die Straße geht – in ihrem Eyeliner muß irgendwas Ätzendes gewesen sein – spekuliert Graham mit Krankenbesuchern über die miesen Machenschaften der „skrupellosen“ Pharmafirmen: Diese müssen Mutter die schlechten Pillen angedreht haben, sonst hätte sie nicht solch höllische Bauchschmerzen.

Real Horrorshop im Kinderzimmer: Als Mom die Notizbücher in Grahams Laborkeller findet, ist es schon zu spät. Büschelweise fallen ihr die Haare vom Kopf. „Ist es die Medizin, Mutter?“ Kurz danach liegt sie in der Kiste, sie war sowieso nur Grahams Stiefmutter. Und schwupp, sitzt unser Giftmischer (von Hugh O'Connor furchteinflößend lakonisch dargestellt) in der Geschlossenen. „Wir hoffen, Sie genießen ihren Aufenthalt“, begrüßen ihn die stämmigen Wärter. Von jetzt an ist Graham das Versuchskaninchen. Schwitzkuren schlimmer als in Schultheiss-Werbespots sind zu überstehen. Ein irrer Arzt will seine Träume deuten. Weil Graham sich nicht an seine eigenen Träume erinnert, läßt er sich einfach die Alpträume seines Bettnachbarn diktieren. Der Schlafentzug durch Graham, der seinen Träumer alle zwei Stunden weckt und ausfragt, macht den Probanden schließlich mürbe. Der erhängt sich, und endlich hat Graham eigene Alpträume.

Regisseur Benjamin Ross, Jahrgang 64, hat's mit dem Gift. Schon 1984 arbeitete er am „Toxic Avenger“ für die Splatter Company Troma mit. Der junge Giftmischer ist sein Spielfilmdebüt. Schwarzer Humor der trockensten Sorte, bei dem einem der Butterkeks im Halse gefriert. Hoher Schauerfaktor, Riesenpupillen und Sixtiesathmo. Musik: Jethro Tull. Ich mag so was. Andreas Becker

„Das Handbuch des jungen Giftmischers“. Regie: Benjamin Ross; mit Hugh O'Connor. GB/D/F 1994

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