Bis zum Tyrannenmord

Mütter und Töcher im Kino – „Dolores“ von Taylor Hackford, ein Familienthriller mit Kathy Bates, Jennifer Jason Leigh und einigen Naturkatastrophen in baufälliger Hütte  ■ Von Christiane Peitz

Vor Literatur zum Thema kann man sich kaum retten, aber Filme über Mütter und Töchter, zumal populäre, sind rar. In Hollywood sorgt man sich vornehmlich um Väter und Söhne. Schon die Western der fünfziger Jahre lebten vom Konflikt zwischen Gründervätern und aufmüpfigen Youngstern; die Autoritäten, der sich die individualistischen Helden des Mainstreams stellen, sind allemal männlich. Auch das Autorenkino schickt gerne verlorene Söhne auf die Suche nach ihren Vätern, von Wenders' Helden „Im Lauf der Zeit“ über Hal Hartleys „Simple Men“ bis zu Gianni Amelios „Gestohlene Kinder“. Neuerdings hat sich das Interesse Hollywoods von den Sorgen der Söhne auf die Schwächen ihrer Erzeuger verschoben; der Generationskonflikt ist der Selbstkritik gewichen. Nicht mehr die Jungen arbeiten sich an den Vorbildern ab, sondern die Väter an ihrer Verantwortung, ihrem Versagen, ihrer Abwesenheit. Dabei dürfen sie der Elternpflicht sogar alleinstehend (Danny de Vito in „Jack, the Bear“) oder adoptionswillig (William Hurt als Pflegevater in „Probezeit“) nachgehen, andere mausern sich vom Taugenichts zur halbwegs passablen Vaterfigur, wie Kevin Costner in „Perfect World“ oder jüngst Paul Newman in „Nobody's Fool“. Die Verschiebung ist symptomatisch: Offenbar plagt Amerikas Väter das schlechte Gewissen. Die Traumfabrik zeigt Verständnis und nimmt sie behutsam in die Pflicht. Von Ausnahmen wie Allison Anders' „Gas, Food, Lodging“ abgesehen, scheint mit den Müttern zur Zeit alles in Ordnung. Was, wie jeder weiß, der eine Mutter hat, nun wirklich nicht stimmt. Konflikte zwischen Frauen taugen für die Leinwand schon eher, wenn es sich um beste Freundinnen handelt. Der Mythos von der Frauenfreundschaft hält sich vielleicht deshalb so hartnäckig im Kino, weil er mit der Eifersucht der Männer auch die Neugier auf diesen vermeintlichen Geheimbund provoziert. Auch hier läßt sich ein aktueller Trend feststellen, denn seit „Thelma & Louise“ sind die Leinwand-Freundinnen meistens bewaffnet. Mordende weibliche Pärchen haben Konjunktur, von „Heavenly Creatures“ über „Butterfly Kiss“ bis zu Chabrols „Biester“. Aber Mütter und Töchter? Fehlanzeige. Mütter im Kino sind entweder Randerscheinungen oder Hexen (wie in „Wild at Heart“), haltlose Töchter meist ein Fall für die Psychiatrie (siehe „Weiblich, ledig, jung sucht...“). Ich kenne keinen Film, in dem sich eine verirrte Tochter auf die Suche nach ihrer Mutter macht. Wenn überhaupt, rückt der weibliche Generationskonflikt höchstens als Psychokrieg ins Blickfeld, nicht selten mit tödlichen Folgen. Der verzweifelte Kampf, den Ingrid Bergman und Liv Ullmann in Bergmans „Herbstsonate“ austragen, ist längst Kinogeschichte, auch die Tragödie von „Night, Mother“ ist bald zehn Jahre alt. Zeitgenössische Versionen sucht man vergeblich.

Ab heute gibt es „Dolores“. „Dolores“, das sind Kathy Bates und Jennifer Jason Leigh als Mutter Dolores und Tochter Selena nicht in einem Woman's-Film, sondern in einem Thriller. Sämtliche Hollywood-Tricks – effektvolle Rückblenden, eine auf den Schreck spekulierende Montage und gewaltiges Naturschauspiel – kommen nur ins Spiel, um die Beziehung der Protagonistinnen in Szene zu setzen. So werden beide Genres, das Melodram und der Thriller, nicht bedient, sondern erfolgreich zweckentfremdet. „Dolores“ vermeidet so ziemlich alles, was bei diesem Sujet sonst geboten ist. Anstelle von Seelenstriptease und tränenreichen Versöhnungen wartet Regisseur Taylor Hackford mit Spannung auf, wie es sich für eine Stephen-King-Verfilmung gehört. Selten schenkt der Mainstream (schon gar nicht ein Durchschnittsregisseur wie Hackford) dem weiblichen Unterbewußtsein so viel Aufmerksamkeit, noch dazu mit verblüffender Scharfsicht und ohne die übliche Hobby-Psychologie. Als sich zum Showdown bei totaler Sonnenfinsternis buchstäblich die Erde auftut, ahnt man trotzdem die inneren Abgründe, allen himmlischen Verdunkelungsmanövern zum Trotz. Auch bei „Dolores“ ist Mord im Spiel, Tyrannenmord natürlich. Aber die sich gegen ihre Unterdrücker wehren, sind keine Neurotikerinnen und auch keine schießwütigen Bad Girls. Dolores soll ihre Herrin, eine reiche, despotische Witwe, die Treppe hinuntergestoßen haben; mit dem marmornen Nudelholz in der Hand entdeckt sie der Briefträger (und mit ihm der Zuschauer) in unzweideutiger Pose. Detective John Mackay wähnt Dolores endlich auf frischer Tat ertappt, denn schon bei dem mysteriösen Tod ihres Mannes vor zwanzig Jahren hatte er die unsympathische Frau im Verdacht. Aber der Schein trügt. Nicht nur der Plot nimmt bis zum Schluß atemberaubende Wendungen (weshalb sich jede weitere Nacherzählung verbietet). Auch das Augenmerk wird immer wieder neu umgelenkt; mal geht's um das Verhältnis zwischen Herrin und Haushälterin (eine ungewöhnliche Variante des Freundinnen- Themas), mal um das Duell der Geschlechter zwischen Detektiv und Delinquentin, mal um Eltern und Kinder, mal um das Leben nach dem Scheitern der Familie. „Dolores“ besticht durch all das, was der Film zum Glück nicht aus diesen Stoffen zieht. Er handelt gar nicht in erster Linie davon, wie sich Frauen gegen Machos ermannen, wenn auch Dolores' Motto zu den schönsten der Saison gehört: „Sometimes being a bitch is all a woman has to hang on to.“ Es geht um die Opfer, um ihren Trotz, ihre Einsamkeit, ihre Stärke – und die unendliche Mühe, die es kostet, sich zu verständigen. Bates' Dolores ist grau, häßlich, ruppig, eine Frau, die nie lächelt. Eine Putzfrau, die ihr Leben lang anderer Leute Wäsche gewaschen und die eigenen Angelegenheiten mit sich selbst ausgemacht hat. Ihr verkommenes Haus an einer gottverlassenen Küste hat sie kaum je bewohnt, in der schimmeligen Küche wird einem schon vom Zuschauen übel. Jennifer Jason Leigh verkörpert das Gegenteil: Eine beinharte, penible Journalistin und von Ehrgeiz zerfressene Karrierefrau, die sich wegen der Anklage gegen die Mutter unwillig Zeit nimmt, um die Formalitäten zu regeln. Selena will schnell wieder abreisen, aber der Wagen streikt. So sind Mutter und Tochter dazu verdonnert, ein paar Tage im Haus ihrer Vergangenheit zu verbringen. Eine baufällige Hütte, verrottet, vernachlässigt, eigentlich unbewohnbar. Die beiden sind einander abgrundtief fremd. Dolores und Selena verbindet bestenfalls ihre Verhärmung. Daß die Erstarrung aufbricht, obwohl sich beide gegen die Erinnerung wehren und das Gespräch mit der anderen zunächst verweigern, gehört zum Aufregendsten, was Hollywood derzeit zu bieten hat. Selena verabscheut die schlampige Mutter. Die Tragödie ihrer Kindheit hat sie – wie sich allmählich herausstellt – verdrängt, beruflichen und privaten Mißerfolg kompensiert sie mit Tabletten und Alkohol. Und sie cremt sich unentwegt die Hände ein. Statt ihrer Tochter ins Gewissen zu reden, stellt Dolores wortlos den Whisky auf den Tisch. Mit solch beiläufigen Gesten zeichnet „Dolores“ seine Charaktere. Aber er deutet sie nicht. Er respektiert vielmehr das Recht seiner Heldinnen, nicht normal und nicht nett zu sein. Auch die Vergangenheit wird nicht in der schließlich sich einstellenden Erinnerung entschärft; man begreift vielmehr ihre Bedrohung. Es handelt sich, wie gesagt, um einen Thriller. Hinzu kommt, daß „Dolores“ keine Partei ergreift. Das Verhalten der Mutter – sie ist durchaus eine Täterin, wenn auch nicht so, wie der Augenschein glauben macht – wird nicht gegen die Abwehr der Tochter ausgespielt. Wenn schon Solidarität, dann eben mit beiden. Was daran liegen mag, daß Kathy Bates in den achtziger Jahren auf der Bühne die selbstmörderische Tochter in „Night, Mother“ gespielt hat. Sie kennt die Rolle der anderen genau. Der Schein trügt. Der Krieg der Frauen endet nicht tödlich, aber das Haus ist am Schluß auch nicht gerade bewohnbar geworden. Im Kino gibt's den Frieden zum Happy-End meistens umsonst. „Dolores“ zeigt die Knochenarbeit, die schon ein Waffenstillstand erfordert.