Dazu Tango auf der Terrasse

Wenn der Dichter zweimal klingelt: Michael Redfords „Il Postero – Der Postmann“ erzählt in hochauthentischem Schwarzweiß die Geschichte von Pablo Nerudas herzlichen Banden zum ganz einfachen italienischen Mann  ■ Von Katja Nicodemus

Das Land hatte es ihm angetan. „Das Olivenöl, das Brot, der Wein, alles ganz ursprünglich.“ Simplicidad italiana!, freute sich Pablo Neruda Anfang der fünfziger Jahre im italienischen Exil. Alles bestens, bis auf die lästige italienische Polizei. „Die folgen mir auf Schritt und Tritt, bis in den Traum und in die Suppe“, schimpft er in seinen Memoiren. „Confieso que he vivido“ – „Ich bekenne, ich habe gelebt.“ Als auf Betreiben des chilenischen Botschafters die Ausweisung droht, kommt es am Bahnhof in Rom, wo Neruda auf dem Weg zur Grenze umsteigen soll, zu Tumulten zwischen protestierenden Intellektuellen und der Polizei. Zufrieden notiert der Dichter: „Im Gewimmel konnte ich erkennen, wie die sehr sanfte Elsa Morante (Schriftstellerin und Ehefrau von Alberto Moravia) ihren Seidensonnenschirm auf den Kopf eines Polizisten schlug.“ In authentischem Schwarzweiß taucht die römische Rangelei, die Nerudas Ausweisung verhinderte, zu Beginn von Michael Radfords „Il Postino – Der Postmann“ auf. Zwar steigt hier ein beleibter Franzose aus dem Zug, doch spätestens wenn das Bild wieder bunt und der Chilene von Rom nach Capri verfrachtet ist, weiß man genau, daß der Literaturnobelpreis 1971 zu gleichen Teilen an Pablo Neruda und Philippe Noiret hätte vergeben werden sollen. Der Dichter ist nämlich nichts ohne sein Volk! Neruda, so will es das Drehbuch, findet in dem Postmann und Taugenichts Mario, beharrlichsten Verfolger seiner Italienzeit. Böswillige Banausen könnten das Weitere achtlos abtun unter dem Motto „großer Künstler trifft Trottel, der unter seinem Einfluß die Schönheit der Welt entdeckt“. Zartbesaitete Naturen hingegen wären empfänglich für die Poesie der Bilder, großartige Naturaufnahmen, anrührende Freundschaft zwischen berühmtem Dichter und liebenswertem Briefboten. Rührend, wenn der Postbote den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als dem exilierten Dichter und einzigen Postkunden morgens per Fahrrad seine Briefe und Päckchen auf den Berg zu bringen. Wenn er schüchtern erst den Rat, dann die Freundschaft des prominenten Inselgastes sucht. Und dank dessen Liebeslyrik auch noch das schönste Inselmädchen betört. Dazu Tango auf der Terrasse.

Meeresrauschen, Berge, windgegerbte Gesichter und Rotwein in der Fischertaverne. Im Zentrum ein gütig lächelnder Neruda, der das Volk liebt und auf Capri das Wort „Metapher“ einführt. Ehrfürchtig bewundert vom linkischen Fischerssohn, dessen Verhaltenheit Massimo Troisi ein bißchen zu dick aufträgt. Immerhin, mit unerschütterlicher Gelassenheit gelingt es Noiret manchmal, den Drehbuchkitsch zu brechen. Wenn er mit Wabbelbauch im Unterhemd am Strand sitzt, scheint ihn selbst am allerwenigsten zu interessieren, was er da von der ergreifenden Begegnung mit einem Minenarbeiter faselt, von schwieligen Händen und der „Poesie der Unterdrückten“. Einmal steht er auf der Terrasse und schält eine Zwiebel. Will sagen, der Poet ist auch nur ein Mensch. Vom Genie wie du und ich schlägt „Der Postmann“ allerdings nie den Bogen zur Bodenständigkeit des Dichters. Zum Neruda, der nicht von morgens bis abends Meeresbrandung, nackte Frauen in der Nacht und der Armen Elend besang. Der in den „Elementaren Oden“ auch Hymnen an Zwiebeln und Tomaten verfaßte. Radford setzt nun mal auf die Spannung zwischen Dichter und Volk, Nerudas Kunst und Marios Kitsch. Trotz exzessiver Menschelei und obwohl alles wie am dramaturgischen Schnürchen läuft, hat die Annäherung zwischen Weltbürger und Caprifischer auch ihre komischen Momente. „Wir Dichter sind alle fett“, sagt Noiret einmal und watschelt zielstrebig ins Meer, während ihm der Postmann melancholisch nachblickt. Zurück im heimischen Chile sind die Caprifischer nur noch Luft für den Politiker und Nobelpreiskandidaten. Und kein Wunder, daß alles tragisch, tragisch endet: „Bella, bella, bella Marie, vergiß mich niiie!“

„Der Postmann“, Regie: Michael Radford. Mit: Philippe Noiret, Massimo Troisi. Italien, 1993