„Shell ist die zweite Regierung“

■ Nächste Woche läuft der Abschiebestopp nach Nigeria ab / Geflüchteter Gewerkschafter steht kurz vor der Anerkennung als politisch Verfolgter

Nachdem der nigerianische Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa und acht weitere Oppositionelle von der Militärregierung hingerichtet wurden, steht Nigeria im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Die Europäische Union beschloß diese Woche militärische Berater aus dem afrikanischen Land abzuziehen und keine weiteren Sport-Kontakte zur Militärdiktatur des General Sani Abacha zu unterhalten. Kritiker im In- und Ausland des Regimes forderten weitreichende Sanktionen gegen Nigeria, zu denen sich weder Europäische Union noch Vereinte Nationen durchringen konnten.

Im Mittelpunkt der Aufrufe stand und steht, das Erdöl zu bokottieren. „Sanktionen waren in Südafrika der letzte Faktor, der Frieden in Südafrika gebracht hat – sie würden auch Frieden nach Nigeria bringen“, sagt der nigerianische Oppositionelle Anthony Edeh. Im Januar 1995 gelang ihm die Flucht nach Deutschland, nachdem er sich sechs Wochen in Nigeria und Benin vor dem Militär verstecken mußte.

Edeh war Sekretär der nigerianischen Ölarbeitergewerkschaft im Niger-Delta. In dieser Region fördern multinationale Konzerne das schwarze Gold. Führend unter ihnen ist der niederländisch-britische Shell-Konzern. „Shell benimmt sich wie eine zweite Regierung in Nigeria“, hat Edeh in seiner langjährigen politischen Arbeit beobachtet.

So haben im vergangenen Jahr Bewohner des Niger-Deltas Unterschriften gegen die Umweltverschmutzung durch Ölförderung der Shell gesammelt, und die Listen dem Konzern übergegben. Einige Tage später sei die Militär-Polizei zu den Häusern der Unterzeichner gekommen, um die „Menschen zum Stillschweigen zu bringen“. Das habe wie bei vorhergehenden Strafaktionen ausgesehen: schlagen und töten, verhaften und verschleppen.

Anthony Edeh war an diesen und anderen friedlichen Protesten gegen das Regime und den Ölkonzern beteiligt. Als Gewerkschaftssekretär war er eine öffentlich bekannte Figur in Nigeria. Nach den landesweiten Streiks im Herbst 1994, wurde er vom Militär im Fernsehen, Radio und den zeitungen mit Foto gesucht. Edeh versteckte sich und konnte mithilfe der Gewerkschaft nach Deutschland fliehen.

Anthony Edeh stellte in Bremen einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Vor knapp zwei Wochen hatte Edeh eine Anhörung über seinen zweiten Asylantrag. In dem „sehr genauen Interview“ (Edeh) prüfte der Bremer Vertreter des Bundesamtes für Asylangelegenheiten erneut, Edehs Glaubwürdigkeit. Von einem nigerianischen Richter konnte Edeh eine schriftlich beglaubigte Erklärung vorlegen, die seine politische Vergangenheit verbriefte. Zuvor hatte er bereits andere Beweise über seine politischen Aktivitäten vorgelegt. Helfen mögen Edeh seine guten Verbindungen zum Deutschen Gewerkschafts-Bund und zur Bremer Uni. Bei beiden Institutionen hat er Vorträge über Nigeria und Shell gehalten. Anthony Edeh rechnet bis Anfang der Woche mit einer Entscheidung des Bundesamtes.

Sollte das Bundesamt sich wider Erwarten gegen eine Anerkennung aussprechen, so genießt Edeh zumindest bis zum 13. Dezember staatlichen Schutz. Nach den Hinrichtungen in Nigeria hat Bremen einen Abschiebestopp dorthin verhängt, der in der kommenden Woche endet.

Am Mittwoch trifft sich Bremens Innensenator Ralf Borttscheller mit seinen Kollegen der anderen Bundesländer zur Innenministerkonferenz. Auf besonderen Wunsch Borttschellers steht der Abschiebestopp nach Nigeria auf der Tagesordnung. „Im Kreise seiner Kollegen“ werde Borttscheller „sich beraten“, teilt dessen Sprecher Stefan Luft mit. Über Ziele und Pläne des Senators wollte Luft sich nicht äußern. ufo