„Ich hasse die Lindenstraße!“

Schon immer habe ich sie gehaßt. Alle, wie sie da sind, die ganze Bande. Aber die Widerwärtigste, Lächerlichste war immer Helga „Mutter“ Beimer: Idol aller Frauen, denen zu ihrem Leben jahrelang nichts Besseres einfällt als Heiraten und Kalben; Heldin all jener Männer, die bei Mutti wohnen, bis sie stirbt.

In unzähligen Situationen hat dieses Schreckbild niederdrückender Mutterschaft allen Liebhabern der darstellenden Kunst schweren Ausschlag und anhaltenden Brechreiz verursacht: Von jeder Emotion schmiert sie zwei Schichten zuviel auf, jeder Blick sitzt treffsicher an der Heuchelgrenze, jeder gutgemeinte Tonfall rutscht ins peinlich Schmierenhafte weg. Sie ist die beliebteste Figur der Serie; die Zuschauer lieben nun mal miese Schauspielerei.

Nur wer die „Lindenstraße“ vorsätzlich als Parodie mißversteht, hat mit all ihren Bewohnerinnen und Bewohnern bis hinab zur Beimer-Geiß schon schöne Stunden verbracht. Damals zum Beispiel, als die Beimerin nicht einsehen wollte, daß selbst der brunzdumme Hans, ihr Gatte, es bei ihr nicht mehr aushielt („meine Taube“ pflegte er seine scheußliche Frau zutreffend zu nennen). Oder wenig später, als sie in Paris einem Verführer und Handtaschenräuber auf den Leim kroch, obwohl der Mann sich derart plump heiratsschwindlerisch aufführte, sich das einsamkeitsmürbe Beimer-Pummel mit derart lachhaft unzutreffenden Komplimenten in Windeseile gefügig machte, daß sämtliche Helga-Hasser grimmig-zufrieden vor dem Fernseher saßen und vor sich hinmurmelten: „Ich hab's ja gleich gewußt, dumme Gans, der Mann ist tückisch; und wenn er dann anstandshalber einen flüchtigen Koitus mit dir hingeschlampt und -gehudelt haben wird, dann wirst du, Helga, an irgendeiner Ausfallstraße der fremden Stadt Paris stehen, an einer nach Süden führenden Straße aus Versehen, und wirst so verzweifelt wie vergebens versuchen, ein Auto nach München anzuhalten, um solcherart ohne das im Hormontaumel verlorene Geld nach Hause zu reisen.“

Durch lange Jahre mit dieser Frau (und natürlich auch kraft eigener Unbegnadetheit) verblödet, gab Hans sich bekanntlich, während die Ehe mit der tauben Helga noch bestand, einer gewissen Anna anheim: einer durch Weinerlichkeit, diffuse Lebensängste, tagelange psychosomatische Bettlägerigkeit sowie einer Neigung zum religiösen Wahn für jede gedeihliche Liebesbeziehung untauglichen Frauenperson. Inzwischen geht's toll mit Hans & Anna; auch so eine Heuchelei: In der „Lindenstraßen“-Welt ändern Menschen sich – zum Guten!

Wer nicht zu bessern ist, kommt ins Grab – oder, fürs erste, nur ins Krankenhaus. Onkel Franz, mit Südstaatendödelhut und Wanderstock ein eher putziger Altnazi; der gräßlich malende Suffke Schildknecht (wohl das, was sich „Lindenstraßen“-Autorinnen unter einem Bohemien vorstellen); der fiese Tennislehrer Nossek mit den Pornos und dem chronischen Stangenfieber und viele andere. Oder aber einer wie der brave Laubsägetrottel Benno fällt einer dramaturgischen Notwendigkeit zum Opfer, die sich als „Schicksal“ maskiert. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir nicht wenigstens ein bißchen Aids im Haus hätten!

Das dramaturgische Prinzip der Verdichtung – alles Elend unter einem Dach! – teilt die „Lindenstraße“ mit vielen anderen Trivialprodukten. Sie hat aber weder die echte Naivität, die tiefempfundene Geschmacksarmut der Groschenhefte noch wenigstens den Witz, die Selbstironie einer intelligent und absichtlich mit Trivialmustern spielenden Parodie. Das macht sie so widerlich. Klaus Nothnagel