■ Prolog
: „Herzlich willkommen“

Zehn Jahre ist es heute her, daß der Autorenfilmer Hans W. Geißendörfer dem WDR seine Idee andiente, eine deutsche Endlosserie zu produzieren. Zehn Jahre, in denen wir uns langsam an die Helden und Heldinnen aus der Lindenstraße 3 gewöhnen konnten. Gewöhnen mußten? Die öffentliche Kritik nach der ersten Folge „Herzlich willkommen“ war alles andere als wohlwollend. Bestenfalls ein Jahr gab man diesem wirren Projekt, das doch – so hatte es Geißendörfer jedenfalls prophezeit – mindestens bis zur Jahrtausendwende laufen sollte.

Zu diesem Zeitpunkt feierte die englische Serie „Coronation Street“, das Vorbild für die „Lindenstraße“, bereits ihr 25jähriges Betriebsjubiläum. Dort war längst Wirklichkeit, was man in Deutschland zwei Jahre nach Einführung des Dualen Rundfunksystems noch für undenkbar hielt: daß das Leben der Serienhelden eine wundersame Alliance mit dem Leben jenseits der Bildschirme eingehen würde.

Es war wohl nur dem künstlerischen Renommee Geißendörfers geschuldet, daß die ARD-Oberen ihn überhaupt zu Gesprächen einluden. Als das Projekt dann aber einmal publik geworden war, als die Beimers und Grieses, Klings und Sarikakis' Sonntag für Sonntag zu heißen kulturkritischen Debatten Anlaß boten, gab es auch für den WDR kein Zurück mehr. Tapfer saß man so manche Medienschelte aus und setzte auf Zeit.

Und siehe da, mit den Jahren entpuppte sich die „TV- Dauerwurst“ (Spiegel) als mächtiger Fels in der Quotenbrandung. Sieben bis zehn Millionen Zuschauer schalten regelmäßig ein, um zu sehen, was sie selbst jeden Tag erleben können (müssen?): alltägliches Leben.

An den Zuschauerzuschriften läßt sich ablesen, wie wir uns das Personal der „Lindenstraße“ langsam vertraut gemacht haben. „Liebe Frau Beimer“, heißt es da seit geraumer Zeit, nicht mehr „Sehr geehrter Herr Geißendörfer“. Wie leben die Darsteller mit ihrem telegenen Doppelleben? Was schätzen die Zuschauer an dieser virtuellen Nachbarschaft, daß sie sie jeden Sonntag in ihre Wohnzimmer einladen? Die „Lindenstraße“ hat mittlerweile Fernsehgeschichte geschrieben. Dabei hatte sie doch nie mehr vor, als uns unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Klaudia Brunst