Helden: Der Dorfschauspieler Von Claudia Kohlhase

Der Dorfschauspieler ist verheiratet und hat einen Mercedes. Trotzdem wäre er ein guter Don Juan oder auch der Prinz an der Stelle, wo Dornröschen gerade aufwacht. Das liegt nicht nur an seinen schmelzigen Augen, die so tief blicken, daß sich auch Nichtgemeinte darin verlieren können. Nein, es liegt zusätzlich noch an seinem Charme, der sich sehr hoch hinaus schwingt und dort ringsherum jubiliert. Und wehe dem oder besser der, die das nicht goutiert. Übrigens liegt der konkrete Prinz gar nicht so fern, denn die kleine Volksbühne in der nächsten Kleinstadt, wo der Dorfschauspieler einer der Hauptdarsteller ist, hat für nächstes Jahr noch kein Märchen.

Viele im Dorf glauben, das könnten sie auch, was er macht, aber die wenigsten haben ihn gesehen. Was wird er schon machen, wenn er spielt, sagen die einen. Den anderen ist er ein bißchen ein Held, da er sonst in irgendeiner Sparkasse arbeitet, wo ihn auch keiner sieht und worüber fast ebensowenig bekannt ist wie über seine Schauspielerei, von der er immerhin aber redet. Und zwar redet er so, als wenn sein Spiel im Grunde selbstverständlich wäre und nur hier ein wenig fehl am Platz – obwohl, auch nicht wirklich, Schauspieler muß es doch überall geben, und hier ist es eben er. Außerdem ist Schauspielersein etwas ganz und gar Wunderbares, egal jetzt, warum oder wo. Und man sieht ja, daß sogar hier im Dorf ein Hauch von dieser Wunderbarkeit existiert. Dafür steht er gerne. Und gäbe auch gerne mehr Auskunft, wenn ihn jemand fragen würde.

Überall wird er aber charmant und hilfsbereit sein, weil das sein Grundsatz und sein Wesen ist. Ob in der Sparkasse oder sonstwo. Witzig ist er daneben allerdings auch noch, streng genommen von einem unterschwelligen Witz, der erst verstanden werden muß, aber dann. Auf der Bühne kann er diese Seite besser ausleben, und auch anschließend noch in der Kulisse. Zum Beispiel neulich mit diesem Kamerateam, wo er mit seinen witzigen Einlassungen manchen Heiterkeitssturm auslöste. Und nützlich machen konnte er sich zusätzlich, als er für den Beleuchter Steckdosen suchte. Der reizenden jungen Fernsehredakteurin konnte er darüber hinaus noch wertvolle Tips zu den Fraktionen innerhalb des Ensembles geben. Während des Interviews mit dem Theaterdirektor hat er dann etwas abgeschlagen in den leeren Zuschauerreihen gesessen und trotzdem leise Hoffnung gehabt, wegen der Hintergrundinformation befragt zu werden. Das zerschlug sich aber.

Wenn der Dorfschauspieler zu Hause die kleine Bergstraße herabläuft, sieht man, daß er ein Bein nachzieht. Er selbst weiß nicht, warum. Es ist eines Tages so gewesen und geblieben. Es war, als hätte sich das Bein in irgendeiner Form selbstständig gemacht. Als würde es ihn hinten aufhalten, wo er doch weiter vorne laufen möchte. Kein Mensch im Dorf würde übrigens auf die Idee kommen, das sei eine Geste der übertriebenen Unterstreichung oder prinzipiell der Theatralik. Aber es sieht schon sehr gut und dramaturgisch aus, außerdem kommt er dadurch überall zu Sitzplätzen oder führt jetzt auch manchmal Regie oder übernimmt kleine Conférence- Aufgaben im Stehen, wenn ein Supermarkt mit Tombola etc. eingeweiht wird.