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■ StandbildGebrüder Blattschuß

„Brudermord – Unheimliche Geschichte vom Land“, Mittwoch, Nord3

Unheimlich – diese norddeutsche Tiefebene. Zu düster wallenden Moll-Harmonien gehen nächtens drei Brüder wildern oder ballern im Military- Look herum. Jürgen läßt Dosenbier über einen erlegten Rehkopf zischen und verschwindet gröhlend wieder im Wald. Der „Freischütz“ als Freak? Wir wurden gewarnt: Die Geschichte beruhe auf einer wahren Begebenheit, doch die Personen seien verändert, Situationen erfunden worden. Dieses alles lasse „keine Rückschlüsse auf den Ablauf des tatsächlichen Geschehens zu“.

Der Fall: Als Jürgen nach dem Knastaufenthalt wegen Wilderei wieder freikommt und obendrein seinen Waffenschein verliert, rastet er vollends aus, stellt zwei Streifenpolizisten eine Falle und bringt sie um. Die Brüder helfen beim Verscharren der Leichen. Regiedebütant Holger Kunze verfolgte aufmerksam die Berichte über den spektakulären Prozeß. Sein Copkiller-Film läuft als Parallelvorstellung ab. Die Streifzüge des Trios inszenierte er unterkühlt präzise: kaum Dialoge, gekränkte, leidende Gesichter, knappe Szenen – Räuber-und-Gendarmspiele mit tödlicher Konsequenz.

Doch Kunze traut seinen Bildern nicht, sondern fügt ständig simulierte Interviews ein, als wären wir bei „Spiegel-TV“, zeigt die heulende Mutter, die das Graffiti „Mörderhaus“ abwischt. Naturverbunden und schüchtern sei der Jürgen gewesen, erinnert sich die „Verlobte“. „Blöd war nur, daß er sein Gewehr überall mit hingeschleppt hat.“ Das lakonische Doku-Drama ist näher an Capotes „Kaltblütig“ als am gängigen Reality-TV. Dennoch irritiert, daß einfach alles gezeigt werden soll: das Schaurig-Banale der Tat (ein Schuß fällt, aber nicht der Cop, sondern ein Autoscheinwerfer wird getroffen), die beklemmende Spießigkeit der Provinz („Putz' dir die Füße ab“) und obendrein ein investigatives Milieudrama („Heute abend kommt das ,A-Team' in der Glotze“).

Diese Deutungswut überwuchert die mystische Qualität der Geschichte, verwandelt die verwilderte, „unheimliche Geschichte vom Land“ (Untertitel) in eine zaghaft hinterher-illustrierende Momentaufnahme. Das Doku-Drama ist spannend, auch weil sich der Regisseur auf eine Länge von 55 Minuten beschränkte – was allein schon das Timing dieser Blattschußballade aus der Provinz förderte. Dieter Deul

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