In Würde links altern

■ Eimsbütteler Impressionen, aufgefangen von Ulla B. Wohlwill

Ständisch wie ästhetisch betrachtet, liegt Eimsbüttel zwischen Ottensen und Eppendorf. Auf der nach unten offenen Flokati-Skala der Wohnsituation von AkademikerInnen wäre der Punkteabstand zwischen Ottensen und Eimsbüttel zwar größer als der zwischen Eimsbüttel und Eppendorf, dennoch gibt ein Vergleich der Viertel zu folgenden Thesen Anlaß:

1.) Nirgends ist der Zusammenhang zwischen humanwissenschaftlichem Bildungsgrad und der Breite des Stuckrandes im Schlafzimmer so eindeutig wie in Eimsbüttel;

2.) dennoch sind Einkommensstruktur und die daraus resultierenden Lebensgewohnheiten der Ex- und Noch-StudentInnen in Eimsbüttel wesentlich komplexer als in den beiden anderen Stadtteilen.

Eimsbüttel birgt viele Wunderlichkeiten: So gilt es zum Beispiel vielen als bewohnbarstes Viertel der Stadt, frei von Drogenabhängigen und trotzdem nicht mit häßlichen Cabriolets vollgestellt. Dennoch gibt es rings um die Osterstraße kaum eine gute Kneipe, von anderen sozialen Zentren ganz zu schweigen. Einzig das Urknall Ecke Sillem-/Sartoriusstraße zehrt noch von seinem Ruf, den es erworben hat, als all die JournalistInnen und LehrerInnen, die es heute bevölkern, noch zum akademischen Proletariat zählten und im sich politisiert gebenden Urknall unvergessene Diskussionen durchfochten.

Eimsbüttel ist dermaßen anheimelnd, daß, wer sich dort niedergelassen hat, es nie wieder verläßt. Vermutlich ist dies der Grund dafür, daß der AusländerInnenanteil im Quartier sich vorwiegend auf die türkischen Gemüsehöker an der Ecke beschränkt, da die Immigrationswellen der vergangenen Jahrzehnte aufgrund mangelnder Fluktuation schlicht über Eimsbüttel hinweggeschwappt sind. Im bemerkenswerten Gegensatz zu dieser Verkrustung der Eimsbütteler Verhältnisse steht das Selbstverständnis der Alteingesessenen: Mensch gibt sich lili (links-liberal) und trägt gerne Lederjacken, denen man ihren horrenden Preis nicht sofort ansieht.

Auf diese Weise wird das Erleben jenseits von Kieler Straße und Fruchtallee durch die tragische Dialektik des Lebensgefühls von Ewiggestrigen und Junggebliebenen geprägt. Durchmischt mit der unfreiwilligen Komik, die sich angesichts des Versuchs, in Würde links zu altern, zumeist einstellt, gleicht das szenische Gefüge des Eimsbütteler Lifestyles bisweilen dem Thomas Mannschen Zauberberg: Ebenso fernab vom Geschehen der Welt wie bezeichnend für den geistig-moralischen Zustand einer Generation, ebenso surreal wie dekadent, so schön wie menschlich-allzumenschlich.

Verblüffend an dem offensichtlichen Hang der EimsbüttlerInnen zu studienrätlicher Seßhaftigkeit, alternativ-grüner Biedermeierei und esoterischer Heimeligkeit ist, daß sie noch nicht auf die Idee gekommen sind, die Osterstraße zu beruhigen. Zwar legt sich die GAL durchaus für eine sinnvollere Nutzung der Achse Eimsbüttels ins Zeug, nennenswerte Anstrengungen von AnwohnerInnen waren jedoch lange nicht mehr zu verzeichnen.

Vermutlich liegt das hier wie überall nicht nur an der Auto-Verliebtheit des Volkes, sondern auch an der Lobby-Politik der Gewerbetreibenden, die meinen, ihnen gingen die KundInnen flöten, wenn sie nicht mehr mit dem Auto bis vor den Eingang fahren können (angesichts der Parkplatzsituation in Eimsbüttel ohnehin eine irreale Vorstellung). Wer einmal echten kaufmännischen Mittelstands-Mief atmen möchte, begebe sich zu Spielzeug-Zars in der Osterstraße: ein Familienbetrieb mit Traditionsbewußtsein und integrierter StudentInnen-Feindlichkeit. Nicht übergangen werden sollte zur Ehrenrettung der Einkaufsmeile allerdings der Buchladen in der Osterstraße: Ein Elysium linker Publikationen, vor allem theoretischer Zeitschriften, mit zumeist aufmerksamer Bemutterung seitens der dort Arbeitenden.

Merkwürdig ist in Eimsbüttel auch das zahlenmäßige Mißverhältnis von Friseur-, Schuh- und Delikatessenläden zu guten Imbißbuden und Plattenläden. Es scheint, als hätte sich das dichte Gefüge von kleinen und Kleinst-Geschäften konsequent an den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen vorbeientwickelt – oder die Bedürfnisse von EimsbüttelerInnen an der Realität von Menschen, die mit anderem als Schöner-wohnen beschäftigt sind.