Kostbare Magie und Western

■ Vier französische Komponisten beim „neuen werk“

Gleich vier Komponisten aus Frankreich schlüpften durchs Netz aus Atomboykott und hiesiger Gründlichkeit. So konnte das neue werk im Studio 10 des NDR einen kleinen Einblick in die zeitgenössische Musik der Nachbarn geben.

Les Rires du Gilles (1981) von Michael Lévinas wirkte wie ein kleines Hörspiel. Den lachenden Geräuschen vom Tonband eines Irren antwortet das kleine Ensemble noch mit ruhig nickendem Tuten. Als aber die Geisterbahnkulisse sich zum Brüllen steigert, versiegt das Lachen zum Wimmern, die Bläser zeigen Erbarmen im schwindenden Unisono. Komischerweise steckte das ulkige Stück die Spieler nicht an.

Der Titel von Hugues Dufours The Watery Star (1993) ist Sinnbild: Fließend entwickelt sich die weiträumige Wandlung der Klänge aus einem dichten Gemisch. Herausstechende Töne, sich lösende Figuren schaffen allmähliche Bewegung. Immer neu verbinden sich Instrumente zu raffinierten Mischungen, spalten sich auf, zerfasern oder verdichten sich. Obwohl düster vorahnend und sogar schrill – dramatisch wird es nie.

Die kostbarste Musik des Abends stammte von Gérard Grisey. Sehr ökonomisch verfährt er in seinen Périodes, braucht nur sieben Instrumente und hat auch das Tonreservoir mit Bedacht aus Obertönen erstellt. Was sich aber ereignet, ist magisch. Die Musik entwickelt sich als Sog zum Davontreiben. Veränderungen erreicht er durch Hervorblenden einzelner Stimmen und rhythmische Betonungen, als ob er einen Klang in seiner Vielgestalt hier beleuchtet, da verstärkt. Hier wirkte das Ensemble Philharmonie unter Jürg Henneberger konzentrierter als zuvor.

Zum Kontrast dann eine fast unendliche Coda von Pascal Dusapin. In opulenter Betriebsamkeit ging es mit reitenden Rhythmen und schneidigen Streichern mal zu wie im Western, dann in Tausendundeinernacht – ohne Woher und Wohin, ständig vor einem entscheidenden Ereignis, das nicht eintritt.

Hilmar Schulz