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Menschenrechte exportieren!

■ Tag der Menschenrechte im Behandlungszentrum für Folteropfer: Geheilter Patient berichtet von seinem Schicksal; Walter Jens erinnert an die französische Revolution

Nicht nur, was er erzählt, auch wie er erzählt, ist äußerst beeindruckend. Man sieht es dem ehemaligen Patienten des Behandlungszentrums für Folteropfer an, welche Anstrengung, welche Kraft es ihn kostet, anläßlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am Pult eines Vorlesungssaals die Wirkung der Folter auf die eigene Person zu beschreiben. Daß er überhaupt darüber reden kann, dazu noch vor einem Mikrofon, ist für ihn ein enormer Fortschritt. Drei Jahre lang hatten sich die 14 ÄrztInnen, PsychologInnen, PhysiotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen des Behandlungszentrums therapeutisch um diesen Mann bemüht: Selbst für ihre Verhältnisse war er ein Härtefall.

Der äthiopische Journalist Hundee Hurriso erzählt also mit stockender Stimme, wie er 1980 unter dem damaligen stalinistischen Regime wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Oromo-Befreiungsorganisation verhaftet wurde. Sechs Monate lang quälten ihn die Folterer so grausam – die Einzelheiten seien den LeserInnen hier erspart –, daß er sich von seinen Mitgefangenen wie ein Baby füttern und anziehen lassen mußte, weil Arme und Beine gelähmt waren. Amnesty international setzte sich für ihn ein, so daß er 1989 freikam und zur Behandlung seiner zahlreichen psychosomatischen Krankheiten ins Berliner Zentrum kam. „Ich dachte, ich sei in ein oder zwei Monaten geheilt“, berichtet er. Aber der „Foltervirus“, wie er es nennt, hatte sich hartnäckig in seinem Körper festgekrallt. Er fühlte sich „weiter wie im Gefängnis. Ich konnte nicht schlafen. In öffentlichen Verkehrsmitteln standen die Leute auf, um aus meiner Nähe zu fliehen. Auf der Straße starrten sie mich an. Manche gaben mir Taschentücher, andere Bonbons und wieder andere böse Blicke.“ Nur dank der Geduld und Hartnäckigkeit seiner TherapeutInnen sei er jetzt zu mehr als 50 Prozent wiederhergestellt.

Hundee Hurriso war einer von insgesamt 201 PatientInnen im letzten Jahr, darunter viele KurdInnen und BosnierInnen, aber auch ostdeutsche Opfer der Staatssicherheit. „Ich verstehe jetzt ein bißchen mehr“, sagt die Moderatorin und Fernsehjournalistin Nina Ruge am Ende von Hurrisos Vortrag, „warum Folter Seelenmord genannt wird.“

Auch Walter Jens ist sichtlich beeindruckt. Der Rhetorikprofessor ruft dazu auf, statt Panzern „Menschenrechte zu exportieren“. Der Paragraph 34 der französischen Revolutionsverfassung von 1793 – „Um Unterdrückung der gesamten Gesellschaft handelt es sich, wenn auch nur ein einziges ihrer Glieder unterdrückt wird“ – müsse endlich zur „Magna Charta der Menschheit“ werden.

Wiewohl wir noch Lichtjahre davon entfernt sind, sieht Zentrumsleiter Christian Pross Hoffnungszeichen. „Die Menschenrechtsbewegung hat Erfolg“, bringt der Arzt als Botschaft aus Kapstadt mit, wo er jüngst an einem Kongreß der weltweit rund 80 Behandlungszentren für Folteropfer teilgenommen hatte. Aber: „Die Menschenrechte kosten Geld.“ Das Berliner Zentrum sei trotz der Förderung aus Brüssel und Bonn dringend auf Spenden angewiesen, um die Einrichtung zu erhalten, das therapeutische Angebot zu erweitern und eine Patientenwerkstatt zu errichten:

Spendenkonto: 0203074234, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, BLZ 100 906 03. Ute Scheub

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