Kambodscha unter Beschuß

Das asiatische Königreich als „feuerfreie Zone“: Das Image, der Boom und die Touristenmorde  ■ Von Volker Klinkmüller

„Kambodscha ist eine „feuerfreie Zone“ und birgt tödliche Risiken für Touristen! Das zumindest steht im neuen „Fielding's guide to the world's most dangerous places“ (Fieldings Führer zu den gefährlichsten Plätzen der Welt), der in den USA erschienen ist und die Gefahren in 41 Staaten beschreibt. Die Autoren gaben dem Königreich, das durch seine Tempelanlagen von Angkor Wat zu den attraktivsten Reisezielen Asiens gehört, und seit April 1994 durch sieben Morde an Touristen in die Schlagzeilen geraten ist, fünf Sterne und damit – wie auch Algerien, Tschetschenien, Kolumbien und Liberia – die schlechtest mögliche Bewertung.

Fieldings rufschädigende Botschaft hat unter Vertretern von Hotelgewerbe, Reiseagenturen und Regierung in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Rebellen der Roten Khmer, so widersprachen sie, würden für Ausländer keine Gefahr mehr darstellen, und die Touristenattraktionen des Landes seien sicherer als jemals zuvor. Die in Kambodscha herrschende Aufbruchstimmung, die sich vor allem durch den Bau neuer Hotels in Phnom Penh, Siem Reap (Angkor) und Sihanoukville manifestiert, deutet tatsächlich eher auf einen stabilen, positiven Trend hin – wie auch die neuesten, offiziellen Besucherzahlen: Demnach reisten im ersten Halbjahr 1995 rund 90.000 Ausländer – davon 71.227 Touristen und 18.866 Geschäftsleute – ein. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum immerhin eine Steigerung von 35 Prozent.

Zudem ist es den kambodschanischen Behörden bereits gelungen, einige Touristenmörder dingfest zu machen. Begonnen hatte die Serie der Attacken gegen westliche Staatsbürger am 11.April letzten Jahres mit dem Mord an der Australierin Tina Dominy (24) sowie dem britischen Pärchen Dominic Cappell (25) und Kellie Wilkinson (24). Die drei Ausländer sind auf der Nationalstraße 4 von Phnom Penh zum Küstenort Sihanoukville unterwegs gewesen, wo sie das Touristencafé „Rendezvous“ betrieben hatten. Drei Monate später wurden ihre Überreste in Rucksäcken aufgefunden. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, ist das Trio von einem Kommando der Roten Khmer erschossen worden, das an diesem Tag den Auftrag hatte, am sogenannten „Friendship-Highway“ Autos anzuhalten und zu stehlen. Ein gefaßter Mittäter wurde zu 15 Jahren Gefängnis, fünf weitere beteiligte Guerilleros in Abwesenheit zu Haftstrafen zwischen 16 uns 20 Jahren verurteilt.

Weltweit noch größeres Aufsehen hatte die Entführung und Ermordung von drei Rucksacktouristen ausgelöst (Hintergrundreportage in der taz vom 14.1.95), die offensichtlich ein Opfer der Politik geworden sind – und deren Schicksal frappierend an das Geiseldrama in Kaschmir erinnert. Am 26.Juli 1994 waren der Brite Mark Slater (28), der Australier David Wilson (29) und der Franzose Jean Michel Braquet (27) bei einem blutigen Zugüberfall auf der Strecke Phnom Penh/Sihanoukville von den Roten Khmer gefangengenommen und als Geiseln auf den Berg „Phnom Vour“ verschleppt worden. Rund drei Monate später – kurz bevor Regierungstruppen die Bastion der Rebellen eroberten – wurden die Traveller ermordet. Wie inzwischen bekannt geworden ist, soll Massenmörder Pol Pot, der für den Tod von fast zwei Millionen Kambodschanern zwischen 1975 und 1979 verantwortlich gemacht wird und inoffiziell noch immer die Roten Khmer anführt, persönlich die Hinrichtung der drei Gefangenen befohlen haben, um die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Offenbar waren solche Rezepte auch der Gegenseite nicht ganz fremd: Der zurückgetretene Finanzminister Sam Rainsy hat vor kurzem in einem Interview zugegeben, damals 150.000 Dollar Lösegeld in Empfang genommen zu haben – das aber auf Weisung von höchster Stelle nicht an die Roten Khmer ausgehändigt worden ist. Vielmehr habe die Regierung die Ermordung der Ausländer in Kauf genommen oder gar provoziert, um aller Welt die Blutrünstigkeit der Roten Khmer zu beweisen und internationale Militärhilfe zu erlangen.

Während die Geiselmörder noch nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten, wurden – im Fall des jüngsten Touristenmordes Mitte Januar diesen Jahres – zwei Mitschuldige gefaßt und zu 15 beziehungsweise 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie gehörten zu einer Gruppe Roter Khmer, die mit Granatwerfern und AK-47- Gewehren einen Autokorso auf dem Weg zum Banteay-Srey-Tempel (rund 30 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Siem Reap) angegriffen hatten. Dabei wurden die 50jährige Amerikanerin Susan Ginsburg Hadden sowie der kambodschanische Reiseleiter getötet und ihr Ehemann William (54) schwer verletzt. Die Mittäter wurden festgenommen, als sie eine Kamera und ein Fernglas der Ermordeten gegen Reis eintauschen wollten. Zwei weitere Tatverdächtige, die aus dem Gefängnis entfliehen konnten, wurden in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Vergleich zum brodelnden Miami, dem thailändischen Seebad Pattaya oder auch krisengeschüttelten Urlaubsländern in Europa, aus denen mit ungebrochener Regelmäßigkeit über den Tod von Touristen berichtet wird, erscheint die Anzahl der Morde an Ausländern in Kambodscha noch relativ gering.

Daß sich an Fieldings These von der „feuerfreien Zone“ (der amerikanische Begriff „Free Fire Zone“ ist eine verbale Anleihe aus dem Vietnamkrieg) dennoch ein Fünkchen Wahrheit befindet, zeigte sich vor kurzen in Phnom Penh: Dort wurden zwei Bulgarier, ein Brite und ein Australier von nervösen Sicherheitskräften spontan über den Haufen geschossen und schwer verletzt, als sie – in der gleichen Nacht, aber an zwei verschiedenen Stellen – mit ihren Mopeds ganz friedlich durch die Innenstadt fuhren. Volker Klinkmüller