Spät bekehrt zum Taschenklavier

„Je mehr man schnauft ...“ – Howard Levy gilt als „radikaler Neuerer“ der Mundharmonika  ■ Von Christoph Wagner

Man sagt es nicht, aber man denkt es: „Warum spielen Sie eigentlich kein richtiges Instrument?“ Die Frage liegt des öfteren in der Luft, wenn sich Howard Levy gegenüber Fremden als professioneller Mundharmonikaspieler „outet“.

Das ist doppelt ungerecht, ist der Musiker aus Chicago doch derzeit dabei, das kleine Blasinstrument von seinem Ruf zu befreien, ein eher bescheidener Klangerzeuger zu sein.

Levy hat eine Vielzahl neuer Möglichkeiten erschlossen und gleichzeitig das interpretatorische Niveau so drastisch nach oben verschoben, daß er in den USA inzwischen als der „radikalste Neuerer in der Geschichte des Instruments“ gilt – neben den beiden grand old men der Harmonika, Larry Adler und Toots Thielemans.

Levy widerlegt das Vorurteil, wonach die Harmonika nur für Blues und Rock geeignet ist. Er spielt darauf jeden erdenklichen Stil.

Ob klassische Kammermusik (er hat eine „Suite for Harmonica and Chamber Ensemble“ komponiert) oder Weltmusik (mit seinem Trio Globo), ob Jazz, Pop, Country oder Folk – mühelos wechselt er von einem Genre zum anderen.

Auf zahlreichen Tourneen und ungefähr hundert Plattenproduktionen mit so gegensätzlichen Künstlern und Gruppen wie Styx, Rabih Abou-Khalil, Dolly Parton, Michael Riessler, Tom Paxton, Paquito D'Rivera, Spyro Gyra und Kenny Loggins hat er seine Chamäleonnatur unter Beweis gestellt, wobei er gleichzeitig jahrelang festes Mitglied in der Gruppe des elektrischen Banjospielers Bela Fleck war – dem „New Grass“- Desperado der Countrymusik.

Das heißt jedoch keineswegs, daß Levy über keine eigene musikalische Handschrift verfügt. Im Gegenteil: Erst die Verbindung von Individualität und Flexibilität macht ihn zum hochgefragten Begleiter und Solisten.

Im Unterschied zu anderen Mundharmonikaspielern, die der mündlichen Tradition des Instruments entstammen und nie eine musikalische Ausbildung erhielten, ist Levy kein völliger Autodidakt. Sein Fall liegt komplizierter. Er ist ein Spätbekehrter. Bevor er sich der Mundharmonika zuwandte, absolvierte er in den Fächern Klavier und Musiktheorie ein Studium an der New Yorker Manhattan School of Music, um danach noch jeweils zwei Jahre klassische Orgel und Jazz zu studieren.

Irgendwann in dieser Phase geriet er in den Bannkreis des Blues. Musiker wie Little Walter, Junior Wells und Paul Butterfield wurden seine Heroen.

Levy besorgte sich eine „Blues Harp“ und machte eine musikalische Erfahrung ganz elementarer Art. Im Unterschied zum Piano erlebte er das Harmonikaspiel, bei dem man ja das Instrument nicht sieht, sondern nur mit den Händen und den Lippen fühlt, nicht als distanzierte Angelegenheit, sondern als Vorgang, der ganz unmittelbar und natürlich dem menschlichen Atmungsvorgang entspringt. „Je entspannter man schnauft, desto leichter spielt es sich“, bringt er seine Erkenntnis auf den Punkt.

Vom Planet Blues unternahm Levy Exkursionen, die ihn immer tiefer in unbekanntes Territorium führten, wobei er teilweise völlig neue Spieltechniken entwickelte. Neben Stevie Wonder, den er wegen seines beseelten Sounds schätzt, und Toots Thielemans, dessen musikalisches Genie er bewundert, wurde der Jazzsaxophonist John Coltrane zu seinem Leitstern. „Nicht allein Harmonikaspieler interessieren mich. Vielmehr versuche ich die Spielweise jedes Instrumentalisten, der mich beeindruckt, auf die Mundharmonika zu übertragen.“

Wie es scheint, sind mit Howard Levy die Zeiten endgültig vorbei, wo sich Harmonikaspieler für ihr Instrument entschuldigen zu müssen glaubten.

Neue Platten mit Howard Levy:

– Trio Globo: „Carnival of Sounds“, Silver Wave/99-Records

– Bela Fleck & The Flecktones: „Flight of the Cosmic Hippo“, Warner Records

– Rabih Abou-Khalil: „The Sultan's Picnic“, Enja 8078-2

– Michael Riessler: „Momentum Mobile“, Enja 9003-2

Konzerte:

Howard Levy's Harpology Festival, 11. und 12. Dezember in der Schauburg, Bremen