Die Pocken – Eine Erfolgsstory

„Das große Sterben – Seuchen machen Geschichte“: Eine Ausstellung im Dresdner Hygienemuseum präsentiert Pest, Pocken, Cholera und Aids  ■ Von Meinrad A. Koch

Im Jahr 1969 erklärte der Surgeon General – die höchste Gesundheitsbehörde der USA – öffentlich, daß es nun endlich an der Zeit sei, das Buch über ansteckende Krankheiten zu schließen. Im Dresdener Hygienemuseum ist derzeit eine Ausstellung zu besichtigen, die zeigt wie recht der Surgeon General hatte, und wie er sich gleichzeitig gründlich irrte.

1969 hielt man die großen Seuchen für besiegt oder zumindest für in Kürze besiegbar. Mit Chemotherapeutika und Antibiotika waren bakterielle Infektionen wie zum Beispiel Pest und Cholera beherrschbar geworden. Gegen Viren wirksame Substanzen kannte man nicht, aber vor Virusinfektionen konnte man mit Impfungen wirksam schützen. Wenn es noch nicht für alle Erreger wirksame Antibiotika oder effektive Impfstoffe gab, so war man doch sicher, daß diese bald gefunden oder entwickelt würden.

Diese optimistische Einschätzung wurde auch dadurch gestützt, daß für mehr als 150 Jahre – seit der Ausbreitung der Cholera am Anfang des 19. Jahrhunderts – keine neuen Seuchen aufgetreten waren. Offensichtlich war das ganze Spektrum der ansteckenden Krankheiten bekannt. Neues war nicht zu erwarten.

Am 13. Oktober 1977 wurde bei Ali Maow Maalin in Somalia zum letzten Mal in der Welt eine Pockenerkrankung festgestellt. (Zwei weitere Personen wurden 1978 beim Umgang mit Pockenviren im Labor infiziert.) Drei Jahre früher waren noch 218.367 Menschen an erkrankt. Durch klug geplante und sorgfältig durchgeführte Impfkampagnen, an der sich unter Führung der WHO Ärzte aus aller Welt beteiligten, war es gelungen, die Pocken auszurotten. Es ist eine Ironie der Seuchengeschichte, daß sich zur gleichen Zeit ein neuer Erreger anschickte, alle Vorhersagen zunichte zu machen: 1980 wurden die ersten Aids-Fälle diagnostiziert.

Für die Pest ein schwarzer Raum

Aids in Afrika steht am Ende der Ausstellung „Das große Sterben – Seuchen machen Geschichte“. Vorgestellt werden die Pest, die Pocken, die Cholera, die Tuberkulose und schließlich Aids. An diesen Beispielen wird gezeigt, wie Kranke und Gesunde, Ärzte und Kirche, Beamte und Politiker auf die Seuchen reagierten, und wie sie in der darstellenden Kunst reflektiert werden. Ein hervorragend gemachter und sorgfältig illustrierter Katalog untersucht die Ikonographie und ideologische Reaktionen auf Seuchen in verschiedenen Zeiten und Gegenden.

Die Darstellung der Pest und ihrer vielfältigen Folgen nimmt den größten Teil der Ausstellung ein. Nicht ohne Grund benutzen wir das Wort Pest als Synonym für ansteckende, seuchenartig auftretende Krankheiten, die „echte“ Pest hat mindestens für 500 Jahre immer wieder in großen Ausbrüchen viele Opfer gefordert. Es wird geschätzt, daß bei der Epidemie im 14. Jahrhundert in Europa nahezu ein Drittel der Menschen starben.

Die frühesten ausgestellten Dokumente zur Pest sind in einem dunklen, fast schwarzen Raum versammelt. Ein eindrucksvoller Beginn für die Schilderung des Schwarzen Todes, aber vielleicht auch ein Hinweis darauf, daß sich die Geschichte der Pest in grauer Vorzeit verliert. Die Krankheit, die wir heute als Pest bezeichnen, wurde identifizierbar erstmals im 14. Jahrhundert beschrieben. Beeindruckend ist, wie rasch damals die Krankheit als übertragbar erkannt wurde. Und schnell wurden die Formen der Reaktion organisiert, die auch wieder bei Aids diskutiert wurden: Kennzeichnen und Einsperren. Bemerkenswert – und auch verwunderlich – ist aber, daß der Übertragungsweg erst vor 90 Jahren geklärt wurde: Flöhe übertragen den Pestbazillus vom infizierten Tier oder auch Mensch auf Tiere und Menschen. Auf zahlreichen Bildern kann man besichtigen, mit welch abenteuerlichen Schutzkleidungen man sich den Kranken näherte. Sie haben sicherlich vor Flöhen hervorragend geschützt. Da Flöhe kaum weiter als 50 Zentimeter springen können, machen auch die ausgestellten chirurgischen Instrumente Sinn, die an langen Stielen befestigt sind.

Vor 600 Jahren brauchte man nicht lange nach den Ursachen oder den Übertragungswegen zu suchen. Gott war es, der mit der Pest die Sünder bestrafte indem er sie wie Blitze vom Himmel schleuderte. Und wer die Sünder waren, war auch klar: immer die Anderen. Je nach Standpunkt waren es die Juden, die Protestanten oder die Katholiken. Aber man konnte sich an Fürbitter wenden, Gott gnädig zu stimmen. Eine Sammlung von Statuen des Heiligen Rochus, des typischen Pest-Heiligen, und Votivtafeln mit dem Heiligen zeigen dies eindrucksvoll.

Daß eine so schwere Krankheit auch ein Thema für die bildende Kunst wurde ist nicht weiter verwunderlich. Beeindruckend sind die zum Teil dramatischen Inszenierungen auf den Gemälden – auch wenn zu vermuten ist, daß daß die Wirklichkeit grausamer und stinkender war.

Auf die Pest folgen in der Ausstellung die Pocken, eine Seuche, an der schon Pharaonen gestorben sind. Hier wird vor allem die Geschichte der Pockenimpfung erzählt. Es ist eigentlich, wie schon gesagt, eine Erfolgsstory. Trotzdem sind bedenklicherweise längst nicht alle Fragen gelöst. Da sieht man eine Kuh mit Impfnadel und Von erschreckender Irrationalität

einem Virusbehälter am Bett eines sich gegen die Impfung wehrenden Kindes, und die Unterschrift lautet: Besser nicht impfen, als mit einem unreinen Virus impfen. Es ist allenfalls 35 Jahre her, daß dieses Hygieneproblem für alle Impfstoffe gelöst wurde.

Der Cholera als großer Seuche der Neuzeit ist ein umfangreicher Teil gewidmet. Sie breitete sich nach 1817 in mehrfachen Seuchenzügen vom Gangesdelta über die ganze Welt aus. Der beginnende Welthandel, große Kriege, die zunehmende Verstädterung und schlechte sanitäre Bedingungen waren bei der Ausbreitung hilfreich. Wieder war der Umgang mit der Seuche von erschreckender Irrationalität. Es waren in etwa die gleichen Muster wie bei der Pest, und wieder hatten die Anderen die Schuld. Man muß sich nur vor Augen halten, daß sauberes Trinkwasser, eine funktionierende Kanalisation und eine sinnvolle Behandlung der Kranken der Cholera rasch ihren Schrecken genommen hätten.

Die Patienten verlieren bei der Cholera große Mengen Flüssigkeit. In zeitgenössischen Bildern ist dies eindrucksvoll zu sehen. Statt den Kranken ausreichend zu trinken zu geben, hielt man den Aderlaß für die Therapie der Wahl und brachte die Patienten erst recht um. Es ist noch nicht lange her, daß man das Ersetzen der verlorenen Flüssigkeit als den entscheidenden Teil der Cholerabehandlung erkannte. Die Choleraepidemien sind die Grundlage der heutigen strengen Gesetze, in denen die Qualität des Trinkwassers und die Entsorgung der Abwässer geregelt werden. Auf diese Weise sind die Auswirkungen der Cholera indirekt bis heute zu spüren. Entdeckt wurde der Erreger der Cholera 1884 von Robert Koch, der dafür eine Belohnung von 100.000 Mark erhielt. Was waren das für Zeiten?

In einem hellen lichtdurchfluteten Raum begegnet uns die Tuberkulose. Wie die Cholera ist auch die Tuberkulose eine Erkrankung der Armen. Die schlechten Wohnbedingungen, die die Ausbreitung der Cholera förderten, waren auch für die Zunahme der Tuberkulose verantwortlich. Bei der Cholera hatte man – wenn auch nur zögerlich – gelernt, wie wichtig ein ausreichender Lebensstandard und die Unterbrechung von Infektketten bei der Eindämmung von Infektionskrankheiten sein können. Mit einem sehr gezielten Bekämpfungsprogramm begann man die Tuberkulose anzugehen. Wir sehen Merkblätter und Schautafeln, die – moderner gestaltet – heute noch verwendet werden könnten. Auch die Bekämpfung der Tuberkulose ist eigentlich eine Erfolgsstory. Seit der Jahrhundertwende hat die Zahl der Tuberkulosekranken – nur unterbrochen durch die beiden Weltkriege – kontinuierlich abgenommen. Die handfesten Bemühungen zur Verbesserung der Volksgesundheit werden anschaulich kontrastiert mit der Tuberkulosebekämpfung in „besseren Kreisen“. „Der Zauberberg“ wird Teil der Inszenierung.

Konsequenterweise kommt die Ausstellung im letzten Raum auch zum Thema Aids, eingegrenzt auf Aids in Afrika. Aufklärungsposter fordern zum Gespräch mit der Familie, einer Familie, die hauptsächlich aus Erwachsenen besteht – im Gegensatz zu europäischen Plakaten, die sich im gezeigt, die vor allem Paare abbilden. Figuren von Zephania Tshuma aus Zimbabwe reflektieren eindrucksvoll einzelne Aspekte des Umgangs mit der Infektion und der Krankheit, beispielsweise die Tatsache, daß mit steigendem Segregationsgrad der Gesellschaft die Bereitschaft zur rationalen Auseinandersetzung mit Aids sinkt – schnell werden Marginalisierte zu Sündenböcken. Wunderheiler in Malawi vertreiben ein Getränk aus Baumrindensaft, für das Menschen aus dem gesamten Umland anreisen und wochenlanges Campieren in Notunterkünften in Kauf nehmen, das selbst wieder neue Gesundheitsprobleme schafft.

Ein Stockwerk höher ist eine Sonderausstellung zu Aids eingerichtet. Auf einer Wandtafel sind deutsche Pressemeldungen zu Aids vom Anfang der Epidemie zusammengestellt. Was hier an dummen Sprüchen versammelt ist, spottet jeder Beschreibung. Sie führt mit ihren zum Teil aberwitzigen Aussagen an den Ausgangspunkt der Ausstellung zurück.

„Das große Sterben – Seuchen machen Geschichte“, Deutsches Hygiene-Museum Dresden, vom 8.12.1995 bis 10. 3. 1996

Der Autor ist ehemaliger Direktor des Aids- Zentrums im Robert-Koch-Institut Berlin