Es lag in der Berliner Luft

Vor fünfzehn Jahren gewannen die Hausbesetzer ihre erste Straßenschlacht. Nach dem 12. 12. 1980 stieg die Zahl der besetzten Häuser von 25 auf 180  ■ Von Uwe Rada

„Es kam überraschend“, erinnert sich eine Kreuzberger Exbesetzerin (40), „aber es lag in der Luft. Die Leute haben förmlich darauf gewartet.“

Der „Kotti“ ein Schlachtfeld, die Polizei ein freilaufender Hühnerhaufen, die Schaufensterauslagen zum Greifen nahe – an jenem zwölften Dezember 1980, einem Freitag, wurde so mancher Besetzertraum zur Wirklichkeit. Böses Erwachen inklusive: 62 Personen wurden im Verlauf der Auseinandersetzungen festgenommen, gegen 22 von ihnen wurde Haftbefehl erlassen. Über 200 verletzte Demonstranten zählte der neugegründete „Ermittlungsausschuß“.

Anlaß für die „Schlacht am Kotti“, die sich bis in die frühen Morgenstunden hingezogen hatte, war eine von der Polizei verhinderte Besetzung des Hauses Fraenkelufer 48. Daß die Gesetzestreue der Ordnungshüter als Aufruf zu Straftaten verstanden wurde, zeigte sich bereits zwei Tage später.

Im Windschatten der zahlreichen Folgedemonstrationen wurde das Fraenkelufer 48 erneut besetzt. Die Polizei griff ebensowenig ein wie bei den nun mehrmals täglich folgenden Neubesetzungen. Die Zahl der besetzten Häuser in Kreuzberg, Schöneberg und Charlottenburg stieg von 25 vor dem „Zwölftenzwölften“ auf über 180 um die Jahreswende.

„Da lag eine ungeheure Spannung über der Stadt“, versucht Michael Wildenhain die damalige Stimmung zu fassen. Eine Aufbruchstimmung. Zusammen mit seinem Bruder zog der heute 37jährige Schriftsteller zum Kottbusser Tor. Kurz darauf trommelten die Brüder ihre Clique zusammen – „ein Haus mußte her, da gab es gar keine Frage“. Vom damaligen Bauexperten der AL, Volker Härtig, bekamen sie den Tip. „So kam es, daß wir, ohne groß zu überlegen, die Mansteinstraße in Schöneberg besetzt haben“, sagt Wildenhain.

Für den Häuserkampf haben damals ganze Seminargruppen, Schulklassen oder Fachschaftsinitiativen alles stehen und liegen lassen. Kreuzberg wurde für kurze Zeit zum Nabel der Welt, und der politische Crash der SPD rund um den Garski-Skandal machte manch einen glauben, er könne das „Schweinesystem“ der Halbstadt aus den Angeln heben. „Eine ungeheure Selbstüberschätzung“ nennt Wildenhain die damalige Perspektive im Rückblick.

Michael Wildenhain hat die Suche nach den Quertreibern, den Dissonanten im herrschenden Gleichklang noch nicht aufgegeben. Nachdem er sich in mehreren Büchern am Häuserkampf der achtziger Jahre abgearbeitet hatte, gilt sein Interesse nun der Gegenwart, den Jugendlichen von heute: den „Crashkids“ oder denen, die sich im Berliner Umland an illegalen Autorennen beteiligen.

Während Wildenhain noch sucht, sind andere längst fündig geworden. „Zwölfterzwölfter?“, fragt Tobias. „Nie gehört.“ Tobias ist ein Hausbesetzer der neunziger Jahre und hat es sich in Berlin- Mitte gemütlich gemacht. Kurze Zeit nach der Maueröffnung war er nach Berlin gekommen. Die Westberliner Insellage ist ihm genauso fremd wie der Geruch von Freiheit, Abenteuer und Alltagserotik zu Beginn der achtziger Jahre. Gleichwohl will sich Tobias „nicht als angepaßt“ bezeichnet wissen. Als Rebell freilich auch nicht, eher als Makler seiner Lebenskunst. Auch viele der Kämpfer von einst haben mit den Verhältnissen inzwischen ein Stillhalteabkommen oder gleich einen Werkvertrag geschlossen. Peter K. zum Beispiel. Er war einer der ersten „Gefangenen der Bewegung“ und arbeitet inzwischen als Unternehmensberater. Fünfzehn Jahre später sieht man die Lage nüchterner. An die damalige Zeit erinnert sich Peter K. dennoch gerne: „Da mußte man einfach mitmachen“, sagt er, „das gehörte zum guten Ton“.

„Eine Revolte von Jugendlichen“, analysiert Mitte-Besetzer Tobias, „würde heute ganz anders aussehen.“ Im getragenen Soziologenslang gibt er die Stichworte: „Jugendgangs, soziale Verteidigungskämpfe, jugendliche Subkulturen, Einzelkämpfer, Sprayer“. Doch die „Stimmung“, weiß er, „ist nicht danach“. Als ob demnächst die Gründung einer Beratungsgesellschaft für Widerstandskultur bevorstünde, nennt Tobias die Gründe: Die Sprayer würden sich noch nicht einmal gegen Razzien wehren und hätten auch keine Telefonketten.