Sanssouci
: Rundumschlag

■ Einkaufen, Folge 7: Pubertäre Studien im Otto-Katalog

In der Zeit, als ich noch jede Woche Dr. Sommers Kolumne in der Bravo verfolgte, war Einkaufen sehr dramatisch. Ich trocknete wochenlang den Abwasch ab, um in Besitz einer echten „Wrangler“ zu gelangen, und dann ging es doch wieder zu C&A. „Das Kind braucht etwas Praktisches“, lautete Mutters Credo, womit sie jedesmal einen Eklat in der Jugendabteilung heraufbeschwor. Tränenüberströmt kam ich mit Tüten voll praktischer Kleidung heim und war überzeugt, daß ich damit Dr. Sommers Ratschläge niemals brauchen würde.

Mein einziger Trost war der autonome Einkauf im Kinderzimmer: Als Enkelin einer Otto-Sammelbestellerin wurde ich jede Saison erneut aufgefordert, mir „etwas Schönes aus dem Katalog“ auszusuchen. Stundenlang untersuchte ich das Angebot auf mehr als 1.000 Seiten. Da versprach das „Viskosehemd in drei Farben“ ein „tolles Trageerlebnis“, der „hochwertige Goldschmuck“ hatte einen „aktuellen Anspruch“. Auch die T-Shirts waren immer im „aktuellen Design“. Dirk aus der Parallelklasse würde sicher sofort mit mir gehen, hätte ich nur erst das „Top Sweat-Shirt“. Drei Wochen später die Enttäuschung: Der „modische Hingucker“ wurde geliefert, profan verpackt in billig raschelnde Plastikfolie. Doch bei der Anprobe in Omas Wohnzimmer wollte sich das tolle Trageerlebnis nicht einstellen. Das Sweatshirt sah genauso aus wie die verhaßten Sachen von C&A. Dirk sollte für mich unerreichbar bleiben.

Daneben barg der Otto-Katalog allerlei Mysterien: die Damen ohne Oberkörper etwa. Seitenweise waren diese langbeinigen Wesen nebeneinander aufgereiht, die schmalen Hüften in „pflegeleichte Jerseyhosen mit Tragekomfort“ gewandet. Andere präsentierten „Satinette Miederhosen, vorn und seitlich verstärkt“. Am rätselhaftesten wurde es immer auf den ein, zwei Seiten, die der Gesundheit gewidmet waren. Regelmäßig tauchten dort zwei Plastikfolien als „selbsthaftender BH“ auf. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum gerade Tesafilm unter der Brust der Gesundheit dienen solle. Irgendwann ging mir auf, daß der „Massagestab“ für 19,95 Mark eigentlich nicht – „wie abgebildet“ – an der Wange, sondern an ganz anderen Körperregionen zu reiben ist. Mit zunehmendem Alter ließ das Interesse am Otto-Angebot allmählich nach. Zwar warf der Versandhandel mit „Apart“ und „Together“ immer mehr Kataloge auf den Markt, aber von den lächelnden Mädchen im „superelastischen Jeans-Material“ ging keine Faszination mehr aus. Nur manchmal macht sich die Wirkung der pubertären Einkaufsprägung heute noch bemerkbar. Anders ist das reflexartige Ausfüllen einer Bestellkarte für den „Trois Suisses“-Katalog, die mir neulich in die Hände geriet, jedenfalls nicht zu erklären. Dorthe Ferber