„Wir wollen die Serben behalten“

■ Interview mit Ivo Komsić, kroatisches Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums und Mitglied der bosnischen Verhandlungsdelegation in Dayton über die Friedensaussichten

taz: Herr Komsić, welche Chancen hat das Dayton-Abkommen angesichts der Schwierigkeiten, die es schon bei der muslimisch-kroatischen Föderation gab?

Ivo Komsić: Das Dayton-Abkommen ist am Dienstag vom Parlament der muslimisch-kroatischen Föderation angenommen worden, ebenso eine in Dayton unterzeichnete Zusatzvereinbarung, diese Föderation zu fördern. Es ist wichtig, daß Muslime und Kroaten die Verwirklichung mit ganzen Kräften in Angriff nehmen.

Kann das Dayton-Abkommen verwirklicht werden, wo es jetzt auch eine „Republika Srpska“ in Bosnien gibt?

Nach dem Abkommen von Dayton ist Bosnien-Herzegowina praktisch in zwei Teile aufgeteilt: in die muslimisch-kroatische Föderation und die „Republika Srpska“. Ein eigenes Problem sind jene Serben, die im Rahmen der Föderation leben, besonders jene im besetzten Gebiet von Sarajevo. Die Föderation möchte diese Serben jedoch in diesem Gebiet behalten. Sie gibt ihnen 100prozentige Garantien. Das Bleiben der Serben ist sehr wichtig für die Zukunft Sarajevos als multikultureller Stadt.

Viele Serben, auch aus den Vororten Sarajevos, haben auf der Seite Karadžićs gegen die bosnische Armee gekämpft. Kann hier wieder ein Zusammenleben funktionieren?

In der nächsten Zukunft ist das vielleicht unmöglich. Die politisch aktiven Serben werden die Stadtteile, die zur Föderation fallen, verlassen, hingegen wird der größte Teil der serbischen Bevölkerung dort bleiben. Mit diesen Serben ist es möglich, neues Vertrauen und ein neues Zusammenleben aufzubauen. Denn die Serben in diesen Gebieten sind auch Opfer dieses Krieges.

Es wird also nicht zu einem ähnlichen Prozeß wie in der sogenannten Krajina Kroatiens kommen, wo die kroatische Armee viele Serben vertrieben hat?

Bosnien unterscheidet sich in dieser Hinsicht grundsätzlich von Kroatien. Bei uns sind die Serben ein konstitutives Volk, auch nach der Verfassung des Staates Bosnien-Herzegowina.

Ist denn der Vertrag von Dayton ein Vertrag der Einheit Bosniens oder der Teilung?

Das Abkommen von Dayton ist ein Vertrag über einen Staat Bosnien-Herzegowina, aber mit dezentralisierter Funktion. Die zwei Entitäten sind nicht das Problem. Das Problem ist die Unproportionalität der beiden Einheiten. Die bosniakisch-kroatische Föderation besteht aus Kantonen und ist nach kulturellen Gesichtspunkten aufgebaut. Die „Republika Srpska“ ist ein Unitarstaat und besteht aus einer Nationalität. Aber Bosnien- Herzegowina ist ein Staat – das ist keine Frage. Es gibt ein Parlament, eine Regierung und ein Präsidium – und nicht drei. Das wurde in Dayton unterschrieben.

Interview: Johannes Vollmer

Ivo Komsić (47), Professor für Soziologie, wurde 1993 ins bosnische Staatspräsidium gewählt. Er gründete 1993 die Kroatische Bauernpartei Bosnien-Herzegowinas. Seit Februar 1994 ist er Präsident des Kroatischen Bürgerrates Bosnien- Herzegowinas.