Einfach aus der Haut fahren

■ Neue Kreationen aus der feministischen Theorieküche: Zwischen Dekonstruktion und Differenz

Nachdem uns jahrelang französische und italienische Feministinnen eingeredet haben, wahre weibliche Freiheit könne nur entstehen, wenn die Geschlechterdifferenz – die angebliche Tatsache, daß Frauen nicht nur andere Körper haben als Männer, sondern auch anders fühlen, denken und handeln – zum Ausgangspunkt für Politik gemacht werde, heißt es jetzt: „Eigentlich“ gibt es gar keine Geschlechter, zumindest keine zwei. Was wir für Frauen oder Männer halten, ist eine gesellschaftliche Fiktion, die wir jeden Augenblick selbst inszenieren.

„Stell dir vor, es herrscht Zweigeschlechtlichkeit, und keine(r) spielt mehr mit.“ So ließe sich das politische Ziel der US-Amerikanerin Judith Butler umreißen, die mit ihrer Theorie der Dekonstruktion der Geschlechter auch hierzulande für Aufsehen gesorgt hat.

Die Frankfurter Rechtsphilosophin Andrea Maihofer versucht eine Synthese zwischen den beiden Modeströmungen der feministischen think tanks: dem geschlechterdifferenten und dem dekonstruktivistischen Ansatz. Ihr Ziel ist, eine eigene Konzeption von Geschlecht zu entwickeln, die weder Unterschiede verabsolutiert oder gar biologistisch ableitet noch ins andere Extrem fällt und die Kategorie Geschlecht bis zur Bedeutungslosigkeit dekonstruiert. Maihofer stellt das Butlersche Denken dar, referiert Ergebnisse der Transsexuellen-Forschung und der Geschichte der Körperwahrnehmungen. Daraus wird deutlich: Bis in unsere „männlichen“ und „weiblichen“ körperlichen Empfindungen sind wir Produkte gesellschaftlicher Prozesse. Es ist unmöglich, zu wissen, was Männer und Frauen außerhalb der symbolischen Ordnung, in der sie „gemacht“ werden, „eigentlich“ sind.

Wenn die Zweigeschlechtlichkeit so „unnatürlich“ ist, ließe sie sich dann aufheben? Judith Butler empfiehlt das „Queer“-Sein, das Spiel mit wechselnden geschlechtlichen Identitäten, als Mittel gegen die Zwänge von Heterosexualität und Patriarchat. Maihofer zeichnet anhand der Theorien von Horkheimer, Adorno, Foucault und Gilligan die Herstellung männlicher und weiblicher Subjekte im heutigen bürgerlichen Patriarchat nach und warnt davor, die Prägekraft dieser Prozesse zu unterschätzen. Wir werden zwar zu Frauen und Männern gemacht, sind es dann aber auch – Geschlecht als Existenzweise, die nicht ohne weiteres durch „subversive Inszenierungen“ à la Tunte oder kesser Vater aufgelöst werden kann.

Verloren im Dschungel des Geschlechterspiels

Während Maihofer zu Recht die Beliebigkeit des Butlerschen Verständnisses von Geschlecht kritisiert, gelingt ihr selbst die angestrebte Synthese von Dekonstruktion und Differenz keineswegs. Sie landet vielmehr – allen Umwegen durch die Dschungel der Dekonstruktion zum Trotz – da, wo sie in ihren früheren Arbeiten schon einmal war, bei einem unverfälschten Differenzstandpunkt. Wenn es stimmt, daß Frauen und Männer nicht nur ihre Körper unterschiedlich wahrnehmen, sondern darüber hinaus „jeweils andere Denk-, Gefühls- und Erlebensweisen sowie andere Vorstellungen von Moral, Recht und Politik besitzen“, und wenn es weiter stimmt, daß wir nicht nach Belieben aus der zweigeschlechtlichen Haut fahren können, so bleibt doch die Frage: Welche Funktion haben diese Unterschiede in patriarchalen Machtverhältnissen? Zum Beispiel die von Carol Gilligan entdeckte Fürsorgemoral der Frauen (im Gegensatz zu einer eher männlichen Perspektive abstrakter Gerechtigkeit), der Maihofer ein ganzes Kapitel widmet? Die auf Verbundenheit statt auf Individualismus beruhende „weibliche“ Beziehungsmoral dient dazu, Frauen ständig an ihre Fürsorgepflicht gegenüber Mann und Kind zu erinnern. Während Therapiebücher Konjunktur haben, die Frauen empfehlen, das ewige Sich-Kümmern um andere ein bißchen ruhen zu lassen, kommt Maihofer über eine affirmative Darstellung der „anderen“ (besseren?) Moral „der Frauen“ nicht hinaus.

Maihofer möchte auch die moralischen Grenzen zwischen den Geschlechtern eher erhalten als auflösen. Ihr politisches Anliegen ist eine „positive, nicht-hierarchische Anerkennung der Geschlechterdifferenz“. Können wir aber auf unserem „Anderssein als Frau“ bestehen, ohne genau die patriarchalen Geschlechterstereotypen zu reproduzieren, die erfunden wurden, um Frauen auszugrenzen und zu unterdrücken? Claudia Pinl

Andrea Maihofer: „Geschlecht als Existenzweise. Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz“. U. Helmer Verlag, Frankfurt/Main 1995, 208 S., 35 DM