Die Kunst ist auf dem Rückzug

Das Schloß Charlottenburg feiert mit alten Meistern seinen 300. Geburtstag. Der „Lustort“ kämpft erneut ums Überleben und dagegen, als Fassade für preußisches Brimborium zu dienen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Berliner Schloßfans sind sentimental. Statt sich mit den vorhandenen Feudalbauten zu begnügen und über deren Erhalt oder Nutzung zu reflektieren, geben sie sich nostalgisch. Sie sehnen sich nach dem Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses. Die Ignoranz des Bestehenden macht dabei auch vor Jubilaren kaum halt. Auf der Feierstunde am Wochenende zum 300. Geburtstag des Schlosses Charlottenburg griff der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in die Mottenkiste der Rekonstruktion. Anstatt die Stellung des Charlottenburger Schlosses zu würdigen, sinnierte Schloßgeist Diepgen, sollte der alte, von Ulbricht gesprengte Preußenbau, in der zentralen Mitte wiedererrichtet werden. Jawollll!

Natürlich weiß auch Diepgen, daß die frühere Königsresidenz im Westen der Hauptstadt zur Identität Berlins und seiner Kultur gehört und daß gerade der kulturelle Habitus des Charlottenburger Schlosses angeknackst, wenn nicht sogar bedroht ist. Doch davon wollte er auf der Fete nichts wissen. Hans-Joachim Giersberg, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, mußte den Regierenden über den verhängnisvollen Sparzwang und die Finanzierung der Sonderausstellung „Götter und Helden für Berlin“ mit Werken der Brüder Terwesten erinnern. Die Helden und Götter seien nicht kostenlos in die Stadt gekommen, „Klinkenputzen“ sei angesagt gewesen.

Die Schau der beiden niederländischen Maler, die um 1700 fleischig-barocke Deckengemälde ins Charlottenburger Schloß zauberten, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, habe „vollständig durch private Sponsorengelder“ finanziert werden müssen. Und den geplanten Umzug der „Galerie der Romantik“ mit Werken von Friedrich und Runge in die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel kommentierte ein Kunsthistoriker als „Ausverkauf“ des Standortes.

Schloß Charlottenburg war für die Berliner und ihre Fürsten immer ein Traum- und Kunstort vor der Stadt gewesen. Von Beginn an sollte das barocke „Lust“-Schloß und sein malerisch inszenierter Park Erholung und Rückzug vom Zentrum bieten. Den Mittelbau des Schlosses entwarf 1695 Johann Arnold Nehring für die Kurfürstin und spätere Königin Sophie Charlotte. Die Crème preußischer Architekten erweiterte ab 1702 das Lustschlößchen zur Dreiflügelanlage mit Turm und Kapelle, Orangerie und Theater.

Johann Friedrich Eosander erweiterte bis 1713 die bedeutende Barockanlage, Wenzelslaus von Knobelsdorff schuf die östlichen Anbauten 1740 bis 1746. Von Carl Gotthard Langhans ist das Theater am westlichen Ende des langen Baus. Schließlich entwarf Langhans 1788 das Belvedere-Teehaus und Friedrich Schinkel einen Pavillon im Jahre 1824 (heute „Schinkel-Pavillon“). Im Innern ließen die absoluten Herrscher sich nicht lumpen, mit antiken Allegorien und üppigen Götterbildnissen die nordische Weltflucht anzutreten. Anthonie de Coxie, Bartolomäus Verona und die beiden Holländer Augustin und Matthäus Terwesten statteten als Hofmaler die Wände und Decken mit Jupiter und Apoll sowie mit viel nackter Haut und deftiger Dramatik aus.

Tafelmalerei und -freuden vertragen sich nicht

Für die barocken Deckengemälde der Terwestens bedeuteten die Bombenabwürfe von 1943 die Zerstörung. Die fetten Götter verbrannten gemeinsam mit den Allegorien der Macht. Die Ausstellung gibt dennoch einen Hauch von der Atmosphäre wieder, die im Wohnzimmer Friedrich Wilhelms IV. geherrscht haben könnte. Großformatige Zeichnungen, Leihgaben aus Amsterdam, aber auch die farbenprächtigen Gemälde Asia und Europa (1694), die als Kriegsbeute erst in der Sowjetunion und später in Potsdam landeten, lassen ein wenig die frühere Putten- und Heroenwelt aufleben. Für Giersberg bildet die Ausstellung einen „Glücksfall“, weil von der Stiftung gerade erworbenes Terwesten- Material gezeigt werden konnte.

Seit den siebziger Jahren dient das Charlottenburger Schloß – mit seinen Verwaltungsräumen, dem Konzertsaal und dem ewig säuberlich frisierten Park – wieder als Schloßmuseum (seit 1926) und Ausstellungsort. Die Ruine war 1956 bis 1962 erst äußerlich und später im Innern größtenteils rekonstruiert, aber auch mit Verfremdungen überformt worden. Hann Triers moderne Deckengemälde in der Orangerie sind Zeichen davon.

Den großen Ausstellungen im Charlottenburger Schloß – Amerikanische Malerei, Indische Kunst, Medien und Höhlenmalerei, über Friedrich den Großen, den Gartenbaumeister Peter Josef Lenné und jetzt über Jerusalem – werden weitere große folgen.

Indessen „ist die Kunst im Charlottenburger Schloß auf dem Rückzug, Räume werden von Bildern entleert“, mahnte der einstige Direktor der Berliner Schlösser, Helmut Börsch-Supan. Aber im Hauptstadtwahn würden nicht nur Sammlungen wieder auf der Museumsinsel „konzentriert“, statt die dezentrale Verteilung zu stärken. Auch das Schloß selbst werde immer mehr zum „heruntergewirtschafteten“ Ort für Firmenfeten, Staatsempfänge und Jubelfeiern im „historischen Flair der Preußenklause“. Sektkorken gegen Gemälde? „Tafelmalerei und Tafelfreuden vertragen sich nicht“, sagte Börsch-Supan. Kunst und Königsdarsteller ebenfalls nicht.

Die Ausstellung ist bis 18. Februar, Di.–Fr. 9–17 Uhr und Sa., So. 10–17 Uhr, geöffnet.