Kirschen in Nachbars Garten

Spaniens Konservative wollen an die Macht. Als Vorbild dient ihnen der Wechsel in Frankreich. Nur auf Streiks würde man lieber verzichten  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

„Heute Paris, morgen Madrid“, jubelten Spaniens Konservative, als vor sieben Monaten im Nachbarland Frankreich Jacques Chirac in den Elysée-Palast einzog. Der Partido-Popular-Chef José Maria Aznar will es im März 96 genauso machen und Felipe González in Madrid ablösen. Mit allen Implikationen der neuen „gloire“ natürlich, die Chirac vorführt. Dachte José Maria Aznar.

Mittlerweile streikt Frankreich jedoch gegen Chirac, Europa wird heftig durchgeschüttelt, und so recht weiß in Spanien keiner, was man sich da nun wünschen soll. Auch die Politiker sind sich uneins. Dieser Tage ist wieder viel von den beiden Hauptstädten die Rede. Doch längst klingt der Vergleich nicht mehr so zukunftsträchtig.

Vor zwei Wochen meldete sich der frühere PP-Chef und Ziehvater Aznars, Manuel Fraga, von seinem Alterssitz – der galicischen Regionalregierung – zu Wort: Frankreichs Regierungschef, der durch die Streiks in Bedrängnis geratene Juppé, mache es schon recht, so Fraga. Es führe kein anderer Weg nach Europa. Und schlimmer noch – einmal an der Macht, bleibe womöglich auch der PP keine andere Wahl, als die Sozialpolitik Juppés zu übernehmen.

José Maria Aznar hörte die Worte des Alten gar nicht gerne und versuchte Gewerkschaften und Presse mit Wahlversprechen zu beruhigen: Der Höchststeuersatz für Besserverdienende soll von 56 auf 35 Prozent gesenkt werden; auch der kleine Mann soll nicht leer ausgehen: 5 Prozent weniger Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Ohne, das versteht sich von selbst, die Sozialleistungen zu senken und das Ziel Beitritt zur europäischen Währungsunion aus den Augen zu verlieren, folglich das Haushaltsdefizit von 6,7 Prozent auf die europäischen 3 Prozent zu drücken.

Dem Wirtschaftsminister Pedro Solbes kommt der Streit der PP- Oberen recht. „Steuersenkungen, Senkung des Haushaltsdefizits, und das alles ohne die Ausgaben zu senken – das ist schlicht unmöglich.“ Er malt das Gespenst des sozialen Kahlschlags an die Wand, ohne dabei die eigenen Maastricht-Pläne zu erwähnen.

Der Wahlkampf geht diesmal früher als sonst los. Spanien sei nicht Frankreich, tönt es aus den beiden großen Gewerkschaftszentralen, der kommunistischen CCOO und der sozialistischen UGT. Die Senkung des Haushaltsdefizits sei unumgänglich, aber sozialverträglich werde sie sein.

Kumpanei von Regierung und Gewerkschaften

Als Beispiel dient den Gewerkschaften ein Abkommen mit der Regierung und den Oppositionsparteien in Sachen Rentenreform: Von einer Anhebung des Rentenalters von bisher 63 auf 65 Jahre ist da die Rede, von einer Heranziehung der letzten fünfzehn statt bislang acht Jahre zur Rentenbemessung und von einer ständigen Überprüfung der Invalidenrente.

Die Maßnahmen sollen Kosten sparen und das staatliche Rentensystem bis 2030 sichern. Die Gewerkschaften glauben daran, die Banken nicht. Sie empfehlen ihren Kunden dringend eine private Zusatzversicherung und haben damit Erfolg. Bleibt nur eine Kraft, die die Unzufriedenheit der Basis mit Europa auffangen könnte: „die Kritiker“ innerhalb der CCOO. Sie befürchten, daß die einheitliche Währung zu erneuter Kumpanei der Gewerkschaftsführung mit der Regierung führen wird – wie bereits bei der Arbeitsmarktreform vor zwei Jahren, auch sie im Zeichen der Anpassung an Europa.

Bei ihrer Europakritik schießen sie allerdings über das Ziel hinaus und verspielen sich damit wieder alle Sympathien. So stimmten sie bei den Vorkongressen zum kommenden Gewerkschaftstag gegen jedweden Antrag zur Stärkung einer europäischen Gewerkschaftskoordination. Das sei ein Projekt der sozialistischen UGT und damit der europäischen Sozialdemokratie – und damit des „Teufels Liberalismus“.