Hausbesitzer & -besetzer

■ Erwin Geschonneck als knorziger Alter in einem Film seines Sohnes Matti

So einen Brief möchte unsereins auch einmal bekommen. Plötzlich, unerwartet und per Einschreiben wird Gustav Matulla in den Stand der Hausbesitzer versetzt. Sein Schnauzbart zittert erst ein bißchen, doch dann trompetet er los: „Einmal hat jeder Mensch seine große Stunde!“ – auch wenn er wie Gustav Matulla schon achtundachtzig Jahre alt ist und sein Lebenssinn darin besteht, den Leiter des Altersheims zu piesacken. Das Haus steht in Berlin, Matulla macht sich auf die Reise. Schon am Bahnhof sieht man sein plissiertes Gesicht von einer Fachzeitschrift gerahmt – Capital.

Erwin Geschonneck spielt den Knorzer Matulla, und man sollte ihm dankbar dafür sein. Geschonneck, selbst schon achtundachtzig, ist seit fünfzig Jahren ein großer Schauspieler. Ohne ihn und den nicht minder brillanten Fred Delmare an seiner Seite stünde es vielleicht nicht so doll mit „Matulla und Busch“. Das Buch zu diesem Fernsehfilm verfaßte Ulrich Plenzdorf nach einem Roman von Klaus Schlesinger. Es ist eine etwas zu friedliche Geschichte über die Freundschaft zwischen Hausbesitzer und Hausbesetzern, in der letztere um einiges zu gut genährt und vor allem zu perfekt geschminkt erscheinen. Reine Edelautonome, aber wen stört's. „Matulla und Busch“ ist – nebenbei – ein Film über Berlin und seine Geschichte. „Apparatements“, sagt Matulla, als ihm Baupläne für die Luxussanierung seines Hauses untergeschoben werden sollen – ein genialer Versprecher.

Der Regisseur Matti Geschonneck wollte seinem berühmten Vater einen glanzvollen Abschied von der Filmbühne bereiten. Tatsächlich funktioniert die Sache vornehmlich durch das Altherrenduo Geschonneck und Delmare. Delmare gibt den Weichen und Versöhnlichen, der immer nah an der Verzweiflung balanciert, Geschonneck das gnatzige Rauhbein mit dem weichen Kern. Köstlich, wie Matulla seinem treuen Vasallen Busch alles Geld für die Bahnfahrt nach Berlin abnimmt, ihn als Kommunisten beschimpft und doch nicht los wird, weil er ihn braucht. Matulla und Busch, Geschonneck und Delmare, diese beiden sind auf Gedeih und Verderb aneinandergeschmiedet.

Und nicht zum erstenmal. 1964 standen Erwin Geschonneck und Fred Delmare für „Nackt unter Wölfen“ vor der Kamera, der Verfilmung von Bruno Apitz' Roman über das Konzentrationslager Buchenwald. 1965 spielten sie gemeinsam in der Nachkriegskomödie „Karbid und Sauerampfer“. Erwin Geschonneck hat selbst fünf Jahre im KZ gesessen. In den zwanziger Jahren schloß er sich der KPD an, arbeitete in Agitprop- Gruppen und hatte eine Rolle in Slatan Dudows „Kuhle Wampe“. 1949 wurde er von Bertolt Brecht ans Berliner Ensemble geholt. Der Schauspieler Geschonneck war und ist ein Geschenk der gütigen Musen ans Publikum. Unvergeßlich, wie er in „Karbid und Sauerampfer“ einen Fluß entlangfuhr, dessen eines Ufer amerikanisch und dessen anderes russisch besetzt war. Mit der Blickrichtung änderte sich auch die Musik, von „Kalinka“ zu „When the saints“, und Geschonneck salutierte natürlich zu beiden Ufern – mit dem jeweils passenden Offizierskäppi.

Nicht nur gespielt wie Gott persönlich, nein auch gesungen hat Erwin Geschonneck immer gern. „Matulla und Busch“ zeigt ihn noch einmal in Hochform, wenn er, als zum letzten Mal verliebter und sturzbetrunkener komischer Alter, ein „Waldesluhuhuust“ röhrt. Sein Rollstuhl wird dabei von Fred Delmare durchs besetzte Haus geschoben, und die Autonomen brüllen „Ruhestörung“. Ach, vielleicht war es ja doch noch nicht, wie verlautbart, „der endgültig letzte Film von Erwin Geschonneck“. Anke Westphal