Engelchen und Teufelchen

■ Death Metal : Grufties 1:0 / „Atrocity“ und „Das Ich“ lärmten im „Tivoli“

Zur Weihnachtszeit herrscht eitel Einigkeit im Musikgeschäft: Chris DeBurgh jamt kräftig mit dem philharmonischen Orchester Londons, Nick Cave umschmachtet Kylie Minogue, und Deutschlands verdorbendste Verwesungs-Metaller „Atrocity“ haben ein Album mit Deutschlands traurigsten Grufties „Das Ich“ aufgenommen. Dabei haben sie sich so gut verstanden, daß sie das Werk „Die Liebe“ nannten und es auch live präsentieren. Am Dienstag waren sie damit im Tivoli.

Zumindest waren „Atrocity“ da. Die konnte man hören, während man „Das Ich“ lediglich sehen konnte, und auch das nur mit Mühe, waren sie doch im düsteren Bühnenambiente schwer auszumachen in ihren standesgemäßen Schwarzkitteln. Technische Probleme waren verantwortlich dafür, daß das Gothic/Death-Metal-Crossover-Experiment zu einem normalen Death-Metal-Konzert mit gelegentlicher Keyboard-Begleitung durch hagere Bleichgesichter wurde. Die Langmähnen von „Atrocity“ spielten behäbige Rock-Riffs, warfen im schleppenden Takt ihre Haare mal nach vorne und bald wieder nach hinten und stießen dazu brüllend ihre Texte in den Saal. Letzteres teilweise in Deutsch, der andere Teil war wohl Englisch. Aber genau verstehen konnte man es nicht. Die digitalen Gruselgeräusche von „Das Ich“ ließen sich nur heraushören, wenn die Gitarren mal Pause machten. Trotzdem ging der Ober-Grufti der Gothic-Fraktion unter den Musikern hinter seinem Keyboard-Pult heftig wippend mit. Dem Metal-Teil des spärlichen Publikums gefiel das Konzert erwartungsgemäß gut, die Grufties zogen sich bald an die Theken zurück und murmelten Gemeinheiten über das, was da auf der Bühne vor sich ging. Gruftigeres erwartete man sich von der Zugabe, zu der Roadies unter unheilschwangerem Waber-Intro extra die ganze Bühne mit Teelichtern dekorierten. Es kam aber wieder nur grummeliger Todesmetal, lediglich noch eine Spur langsamer als vorher.

Da hätte sich die Rasselbande ruhig eine Scheibe abschneiden können von ihrer norwegischen Vorgruppe „Theater of Tragedy“. Die sparten ebenfalls nicht an Metal-Getöse, verknüpften dies aber so geschickt mit Wave-Tönen, wie man es sich vom Haupt-Act gewünscht hätte. Der Gesang war nach dem „Guter Bulle, böser Bulle“-Prinzip aufgebaut, das man aus Polizeifilmen kennt: Erst raunzt ein gruseliger großer Mann mit Sonnenbrille das Publikum an, als käme er direkt aus der Hölle und wolle alle mit dorthin nehmen, dann kommt ein blonder weiblicher Engel angesäuselt und flötet ins Mikro, daß alles besser wird. Dazu wurde Keyboard gespielt, wie es sich für diese Musik gehört: Jeder Tastendruck schien dem Organisten zuviel angesichts all des globalen Elends. So spielte er lieber nur mit einer Hand, um mit der anderen ab und an unter Weltschmerzgestus seine Haare zurückzuwerfen. Dazu trug man Rüschenklamotten, die aus Coppolas Dracula-Verfilmung hätten stammen können. So auch der Rest der Show: Weder furchteinflößend noch gehaltvoll, aber zweifellos wunderschön und überaus unterhaltsam. A.N.

Andreas Neuenkirchen